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Alle lieben Peter

Alle lieben Peter

Titel: Alle lieben Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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rhythmisch ihren Kehlsack auf. In diesem Augenblick hörte ich hinter mir ein Geräusch. Die Henne? Nein, es war Weffi. Richtig — Weffi — wo war er überhaupt die ganze Zeit gewesen? Als er näher kam, erstarrte ich. Er hatte Blut um die Lefzen und eine weiße Hühnerfeder auf der lackschwarzen Nase. Ich setzte mich glatt in die feuchte Bacherde — allmächtiger Strohsack!
    »Weffi«, sagte ich, »hast du etwa deinen Bruder imitiert? Willst du uns denn alle gänzlich unmöglich machen, Kerl?« Ich nahm ihm schnell die Feder von der Nase und wusch ihm seinen Fellbart mit dem Bachwasser. »Du lieber Gott, wenn man jetzt irgendwo die Hühnerleiche findet!«
    In Gedanken sah ich mich meine Koffer aufladen und wieder einmal mit meinen beiden von dannen ziehen. Sollte ich ihm eine Tracht versetzen? Er saß so niedlich an meinem Knie, schlotterte mit den Vorderhöschen und sah mich mit triefendem Bart und schiefgeneigtem Kopf aus seinen stillen braunen Augen an. Nein, das konnte ich nicht. Erstens stand es ja noch nicht fest, und zweitens — er hatte es ja in aller Unschuld getan, wenn er es getan hatte. Ich zog ihn an mich und legte meinen Kopf auf seinen: »Ach, Weffchen!« Vielleicht hatte er Blut und Feder auch nur von Aurelias Resten auf dem Müllhaufen. Vielleicht! Ich stand müde auf und schlich dem Hause zu.
    Dort hatte man sich offenbar schon mit dem Unvermeidlichen abgefunden. Die Mutter Widderhals wirtschaftete auf dem Herd. Mit der übertriebenen Eifrigkeit des Schuldbewußten sagte ich: »Vielleicht ist sie inzwischen schon zurück?«
    »I wo«, sagte die Mutter Widderhals, »die hätten wir gesehen. Es ist keine gekommen in der ganzen Zeit.«
    »Na, ich würde doch noch mal nachsehen!«
    »Ist ja schon ganz dunkel im Stall.«
    »Ich hole meine Taschenlampe!«
    Sie sah mich an, und es war mir, als ginge ihr Blick direkt in mein Herz und erblicke dort die schauerliche Wahrheit. Sie zuckte die Schultern: »Meinetwegen.«
    Ich holte die Taschenlampe, sperrte die Hunde ein, und dann gingen wir in den Stall. Ich war noch nie des Abends im Hühnerstall gewesen. Seltsame Atmosphäre. Wir mußten uns tief durch die kleine Tür bücken, und als wir uns dann auf richteten, saßen sie um uns herum in langen Reihen, auf ihren Stangen und Brettern, der Gockel und alle seine Hennen. Viele hatten, als wir eintraten, schon die Köpfe ins Gefieder gesteckt. Zwischen manchen ging noch eine leise Unterhaltung hin und her. Dann waren sie durch den Lichtschein alle munter, und Dutzende von kalten Hühneraugen sahen uns forschend und mißtrauisch an. Auf einem Brett ganz für sich allein thronte gewaltig wie ein Turm Agathe. Ihr Leib war riesig aufgebläht.
    »Tschuck-tschuck!« machte sie aus ihrer Höhe und drechte den starken Schnabel in unsere Richtung. Und da, als sie diesen Laut ausstieß, teilte sich ihr Gefieder, und heraus schaute der Kopf der verschwundenen Henne. Rechts und links von ihr gab es nun immer mehr Lücken in ihren Federn, kleine gelbe Köpfchen guckten heraus, und ein allgemeines silbernes Getschiepe, schlaftrunken und wohlig, schwebte mir entgegen. Die dicke Widderhälsin stand mit offenem Mund: »Ja — da legst di nieder!« sagte sie dann. »Weil die Glucke ihr die Kleinen nicht zum Bemuttern gibt, hat sie einfach die ganze Familie übernommen!«
    Ich holte tief Atem und wischte mir die Stirn. »Agathe«, sagte ich dann, »ich könnte dich küssen!«
    Die Widderhälsin kicherte ahnungslos: »Sie könnt’s brauchen! Vielleicht schaff’ ich mir im Frühjahr doch ‘nen Puter für sie an!«
    Drinnen in meiner Stube teilte ich meinen letzten Riegel Schokolade mit Cocki und Weffi. Es war eine teuflische Sorte aus dem Dorfladen. Mit roter Füllung. Cocki schlang seinen Teil mit einem Ruck hinunter, Weffi, der diesmal das größere Stück bekam, schmatzte mit geschlossenen Greta-Garbo-Augen minutenlang daran herum. Das rosa Zeug piekte ihm im Gaumen.
    Es klopfte. Ich fegte mit einer einzigen Handbewegung die beiden Brüder vom Sofa herunter. Gleich darauf schob sich das heute abend besonders verschlagen aussehende Gesicht Anselm Widderhalsens um die Türkante.
    »Abendessen wollt’s Ihr wohl gar nicht?«
    »Mensch, das hätte ich ja ganz vergessen!«
    »Na also.« Er geleitete mich und mein Gefolge die Treppe hinunter. Unten setzte er sich an meinen Tisch. Er schob mir mit mütterlicher Zartheit die Schüsseln hin. Es war sowohl überwältigend wie verdachterregend. Was hatte er bloß? Ich hatte kaum die

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