Alle lieben Peter
rückten sie zur Seite, lasen fieberhaft Schilder — nichts. Der Mann sah wieder auf die Uhr: »Na — also?«
»Nichts«, sagte meine Gefährtin. Sie war blaß wie eine Wand, und die Arme hingen ihr herunter, als seien sie gebrochen.
»Aber er muß dasein!« erklärte ich wild. Und dann tat ich etwas völlig Verrücktes. Ich schrie: »Peter! Peterle! Wo bist du, Peterchen?«
Der Stationsvorsteher legte mir freundlich die Hand auf den Arm: »Na, na! Nutzt doch nichts! Dann wird er eben mit dem nächsten Zug...«
»Ruhig!« schrie Frauchen. »Moment mal! Peter!«
Und jetzt hörten wir es auch, ein leises Winseln, ganz aus der hintersten Ecke. Der Eisenbahner in der schmuddeligen Jacke sah noch mal auf die Uhr. Aber da waren wir schon zu dritt beim Abräumen. Er steckte schulterzuckend die Uhr ein und half mit. Ich weiß nur, daß meine Hand plötzlich blutig war, irgendein Draht..., daß meine Gefährtin aufschrie, weil ihr eine Kiste auf den Fuß fiel. »Langsam, langsam«, mahnten die Männer.
Und dann, ganz zuunterst, zwischen zwei Apfelsteigen und unter einem neuen Kinderwagen begraben, war eine Kiste, eine unwahrscheinlich kleine Kiste mit einem winzigen Gitterfensterchen. Ein verkrumpelter, schmutziger Zettel baumelte daran, kaum so groß wie eine Hand. Ganz unleserlich darauf geschrieben: >Lebendes Tier<. Ich riß die Kiste ans Licht, hinter dem Gitter erschien etwas — eine kleine Struppelschnauze, aus der es schwach winselte, ein paar Augen, riesengroß.
Jetzt hatten wir die Kiste auf dem Bahnsteig. Ein Schraubenzieher war plötzlich da und ein Hammer, wir wuchteten den Deckel hoch. Hinter uns fuhr der Zug ab. Ich fetzte die Bretter auseinander, brach Nägel ab, Frauchen griff hinein, hob Peter heraus, setzte ihn hin.
Und da stand er, ein kleines schwarzes, zerrupftes Jammergestell mit zitternden, dünnen Fliegenbeinen und Augen wie ein wahnsinnig gewordener Neger. Er stank, aber es störte uns nicht. Wir waren wie verrückt. Gibt es überhaupt ein Wort für die Gefühle, die uns alle drei beseelten?
Eine Weile blieb er so, auf wankenden Beinen. Geifer tropfte langsam aus seinem Schnäuzchen und rann den roten Bart entlang auf das graue Pflaster des Perrons.
Ich kniete mich vor ihn nieder und zog ihn an meine Brust. »Mein kleiner Odysseus«, sagte ich, »mein kleiner schwarzer Odysseus, du bist daheim!«
Und als ob er es verstanden, kam plötzlich Leben in ihn. Er riß den Kopf hoch, sah von einem zum anderen, und dann fuhr er aus meinen Armen und begann uns zu umrasen, immer schneller und schneller, mit einem seltsamen, hohen Quietschen. Wir sahen uns entsetzt an: War er wahnsinnig geworden? Hatte es noch zum Schluß in seinem armen kleinen Hirn Kurzschluß gegeben? Immer weiter raste er, immer weiter — und immer dieses furchtbare Geschrei — ein hoher, winselnder, gellender Ton. Schließlich aber begann er zu taumeln, kroch auf uns zu. Er lief zwischen uns ein wie ein sturmzerrauftes kleines Schiff, das — schon im Sinken — gerade noch den Hafen erreicht, und legte sich endlich auf den Rücken. Wir küßten seine schäbige Unterseite, wir legten seine Fliegenbeine an unsere Gesichter, und dann trugen wir ihn zum Wagen. Gerade, als ich Gas gab, kam der erste Sonnenstrahl hinter dem Dreitausender vor.
Als wir auf den Hof der >Krone< einfuhren, spielten Cocki und Weffi unter Aufsicht der Mama mit Lux. Als die Mama den Wagen sah, rannte sie darauf zu. Ein paar Sekunden später hielt sie Peterle in den Armen. Er schluchzte und leckte ihr das ganze Gesicht ab. Dann, als er an die Tränen geriet, die ihr aus den Augen liefen, hielt er inne und nieste ihr eine volle Ladung mitten ins Gesicht.
Cocki und Weffi ließen Lux stehen und kamen angetrabt. Die Mama setzte Peterchen auf die Erde, und er schoß wie ein Pfeil auf Cocki zu. Der stand, als sei der Blitz vor ihm in den Boden geschlagen. Seine Ohren waren nach vorn gestellt, die Augen noch halbmal so groß wie gewöhnlich: »Träume ich — kommt da ein Gespenst?« In der nächsten Sekunde war das Gespenst heran, fiel ihm um den Hals, leckte ihm Nase, Augen und Ohren, wand sich unter ihm durch und warf sich vor ihm auf den Rücken. Dabei stieß er kleine, winselnde Laute maßloser Zärtlichkeit aus. Die unendliche Sehnsucht vieler Ewigkeiten entlud sich. Er hatte ihn wieder, seinen Herrn und Meister!
Der Dicke besah sich gründlich die dürftige Unterseite, leckte dann anerkennend den kahlen Bauch und wedelte dazu mit dem Hinterteil. Es war
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