Alle lieben Peter
jetzt, daß sie außerordentlich feierlich angezogen war: hochgeschlossenes Kleid und oben am Hals die antike Brosche mit dem Ritter Georg.
»Was ist denn los? Irgend’ne Beerdigung?«
Sie sah mich aus ihren blassen Augen streng an: »Wir müssen heute früh drüben bei Werneburgs Antrittsbesuch machen!«
»Einen wie bitte müssen wir machen?«
»Einen Antrittsbesuch, du Wilder! Das macht man nämlich bei den Nachbarn. Ich habe gestern der Margot schon gesagt, daß wir zwischen zwölf und halb eins kommen, das ist die schickliche Zeit.«
»Na, entsetzlich! Und wer ist Margot?«
»Das Mädchen, Werneburgs Mädchen. Und die Hunde bleiben selbstverständlich hier«, fügte sie etwas unzusammenhängend hinzu.
»Macht man wirklich noch Antrittsbesuche?« wandte ich mich hilfesuchend an meine Gefährtin.
Aber ich fand keine Unterstützung. »Ja, das macht man. Du ziehst am besten den Dunkelgrauen mit den Streifen an und schwarze Schuhe (die gerade, die ich nicht leiden konnte).«
Um zwölf Uhr stand ich mit schwarzen Schuhen hinter der Gardine meines Zimmers und spähte zu dem anderen Haus hinüber. Es lag groß und abweisend in der fahlen Novembersonne. Die Mama erschien hinter mir im Mantel: »Also — fertig?«
»Da ist kein Schwanz zu sehen«, sagte ich mit einem schwachen letzten Versuch. »Um die Zeit fallen wir denen doch bestimmt ins Essen!«
Aber wir fielen keineswegs ins Essen. Ich hatte die Klingel drüben noch nicht berührt, als sich die Tür schon öffnete. An der Türklinke hing Margot, eine hübsche schlanke Sache mit Stupsnase, in Häubchen und Schürze. Wir legten in einer großen Diele ab und wurden dann ins Wohnzimmer geführt, wo schon ein Tischchen mit Vermouth, Cognac, Keksen, Zigarren und Zigaretten vorbereitet war und uns Frau Sibyl Werneburg begrüßte. Auch sie hatte ein Kleid mit hohem Kragen und Brosche, aber darüber ein pfiffiges Gesicht mit großen blauen Augen und braunem Wüschelhaar. Offenbar bedeutend jünger als ihr Mann, stellte ich fest, während ich mich über ihre Hand beugte.
»Willkommen in Wildwest!« sagte sie mit tiefer Stimme. »Nehmen Sie doch Platz. Mein Alter wird auch gleich kommen. Er mottet gerade die Schildkröten ein. So was übermannt ihn immer, wenn Besuch erwartet wird.«
»Schildkröten?« fragte ich verwirrt.
Sie schlug sich auf die Schenkel wie ein Dragoner und lachte schallend: »Da staunen Sie, was? Wir haben nämlich Schildkröten, zwölf Stück. Eine davon schon dreißig Jahre. Hochzeitsgeschenk. Darauf muß man kommen, was? Aber auf so was kommt er. Zum Herbst bringt er sie in den Keller und legt sie, in Gras gewickelt, auf einen Haufen. Da halten sie Winterschlaf.«
»Schildkröten!« sagte ich. »Ich hatte auch mal eine, als Junge, aber die war mir...«
Ich bekam von der Mama einen Tritt unter dem Tisch, aber Sibyl lachte mich freundlich an: »...zu stumpfsinnig, nicht wahr? Aber Sie irren sich, Sie sollten mal sehen, wenn die zur Paarungszeit lustig werden! Die Männer versuchen sich gegenseitig umzurennen, daß die Panzer nur so krachen. So viel Mühe«, sie warf einen Blick zur Mama hinüber, »geben sich unsere Herren der Schöpfung heute nicht mehr, nicht wahr? Und jede hat ihre Individualität«, wandte sie sich wieder zu mir. »Sie sollten mal Mäuschen sehen, das ist ‘ne Einzelgängerin, bleibt nie bei den anderen und kriecht immer in die äußersten Winkel. Damit wir sie überhaupt wiederfinden, haben wir den Panzer angebohrt, und mein Ferdinand hat einen Antennendraht ‘reingesteckt mit einem Fähnchen dran.« Sie hob das Glas: »Also — auf gute Nachbarschaft!«
»Auf gute Nachbarschaft!« sagte eine Stimme von der Tür her. Es war der Herr des Hauses, und er wirkte ungeheuer direktorial, um nicht zu sagen generaldirektorial, wie er da im Türrahmen stand. »Wir werden sie nämlich nötig haben, die gute Nachbarschaft«, sagte er, während wir anstießen, »wenn wir einschneien im Winter.«
»Schneien wir eigentlich tief hier ein?« fragte die Mama.
»Das ist Ansichtssache«, meinte die Werneburgerin. »Gewöhnlich gucken Sie noch mit dem Kopf ‘raus, wenn Sie aus dem Kino nach Hause kommen. Aber garantieren kann ich’s nicht. Vor zwei Jahren, bei dem großen Schneefall, hat man uns einen Tunnel schippen müssen, damit wir an unsere Haustür kamen.« Sie lachte gutmütig, als sie Mamas Entsetzen sah. »Aber es ist alles halb so wild. Wir haben so ‘n Geheimabkommen mit dem Enzinger, das ist der Fuhrunternehmer, der den
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