Alle lieben Peter
Gehirn, oder was weiß ich.«
Er hob das Glas: »Na, nu komm mal wieder zu dir! Was willst du denn nun machen?«
»Ein Häuschen mieten, nicht zu teuer, aber ‘n nettes Häuschen, in ‘ner hübschen Gegend, vielleicht so hier nahebei, wo ich mit meinem Verein in Ruhe, und ohne daß mich jemand anmeckert, leben kann. Weißt du vielleicht so was?«
Er dachte nach. Es dauerte eine ziemliche Weile, wir lutschten derweilen noch zwei Steinhäger. Die Mama, die am Tisch sanft eingeschlummert war, wachte für einen Moment auf und sagte: »Achte auf deinen Blutdruck!« Dann schlummerte sie wieder ein.
Ich fuhr zusammen. Kretzschmers Nachdenken hatte aufgehört. »Tja«, sagte er, »da wäre das Jagdhaus vom Baron Uelzen, das liegt ganz dahinten, in der Schlucht am Rieß, sehr hübsch!«
»Ich will keine Bretterbude, ich will ‘n Haus!«
Kretzschmer sah mich empört an: »Ist ja auch keine Bretterbude! Fließendes Wasser, elektrisches Licht, Telefonanschluß.«
»Will kein Telefon.«
»Dann laß es bleiben. Außerdem hat’s ein Kachelbad, unten drei sehr hübsche Zimmer, oben noch ein ganz großes und eine kleine Küche mit allen elektrischen Schikanen. Keller ist auch da, für den Wein und die Kohlen.«
»Na und?« fragte ich mißtrauisch. »Warum wohnt dein Baron nicht selbst in diesem Prachtschloß?«
»Erstens, weil er noch ‘n viel größeres bei Hannover hat, und zweitens, weil er außerdem tot ist.«
»Tut mir leid«, sagte ich ohne jedes innere Gefühl. »Wieso?«
Paul hob feierlich den Finger: »Ein großartiges Ende. Er ist sozusagen mit fliegenden Fahnen vor dem Feinde gefallen.«
»Was denn? Ist schon wieder Krieg?«
»Er hat sich totgesoffen.«
»Das ist schön«, sagte ich, »für ihn — und für mich. Friede seiner Asche.«
»Friede!« sagte Paul feierlich, und wir stießen die Gläser aneinander.
»Na, und was ist mit dem Haus?« fragte ich dann.
»Ja, das soll ich vermieten, haben mir die Verwandten gesagt. Gar nicht mal teuer«, worauf wir uns in Details vertieften, bis ich mit Schrecken entdeckte, daß es noch fünf Minuten bis elf Uhr waren. Es erfolgte ein rasanter Aufbruch, ich feuerte alles in den Hintersitz, die Mama, Cocki, Weffi — dann fegten wir zum Bahnhof, und gerade lief der Zug ein.
Da war Frauchen. Sie sah schmal und im ersten Moment ganz fremd aus. Weffi sprang ihr bis zum Kopf, und Cocki ging auf dem nächtlichen einsamen Bahnsteig vor ihr in die Knie und hielt ihr den Po zum Klopfen hin.
»Ist das nicht fürchterlich mit Peterle?« waren ihre ersten Worte, als sie zur Besinnung kam.
Am nächsten Morgen standen wir schon um halb sieben auf dem Bahnsteig. Die Sonne ging gerade auf. Der Himmel färbte sich in einem seltsamen Grün, das langsam in Rot überging. Die Hunde hatten wir zu Haus gelassen. Wir schnatterten mit den Zähnen, teils vor Kälte, teils vor Aufregung, und sprachen kein Wort. Wie die Löwen hinter den Gittern gingen wir hin und her, aneinander vorbei. Schon dreimal hatten wir den netten jungen Stationsvorsteher gefragt, ob der Zug Verspätung habe. Auch hatten wir ihm erzählt, daß wir unser Peterle erwarteten. Er tat so, als ob es ihn interessiere.
Da endlich — ein ferner Pfiff! Wir rannten an das Ende des Perrons. Ein paar Krähen flogen mit schwerem Flügelschlag den Bergen zu. Jetzt ein kleines schwarzes Rechteck, wieder ein Pfiff. Und dann an uns vorbei — die Lokomotive, die klirrenden Wagen. Wir liefen mit. Da — der Packwagen!
Die Tür des Packwagens rollte auseinander, und ein Mann in einer schmuddeligen Eisenbahnerbluse stieg aus, in der linken Hand eine Thermosflasche und in der rechten ein Frühstückspaket. Wir redeten beide gleichzeitig auf ihn ein: »Wo ist der Hund? Schnell heraus mit dem Hund! Peterchen — ein kleiner Schwarzer — wissen Sie — eine Kiste — eine Kiste mit einem Hund!«
Er hob die Hände mit der Thermosflasche und dem Schnittenpaket: »Nu mal langsam, Leute, da is’ gar kein Hund!«
»Kein Hund??« Ich schrie es fast. Frauchen weinte schon: »Es muß ein Hund dasein!«
Er zuckte die Schultern, steckte das Frühstückspaket in die Tasche und stellte die Thermosflasche in den Wagen: »Können ja selber nachsehen!« Dann ging er mit dem Stationsvorsteher in den Wagen, und sie begannen allerlei Zeug auszuladen: ein neues Motorrad in Wellpappe, Kisten mit Käse, Kohl, Radioapparate, große grüne Flaschen in Körben, Stiegen mit Äpfeln und Birnen. Wir taperten derweil herum, kletterten an Kisten empor,
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