'Alle meine Kinder'
Gesundheit ihrer Spielkameraden gefährden könnten. Wenn Medikamente zur Verfügung stehen, ist es nicht notwendig, die Kinder voneinander zu trennen.
Mit Geld auf dem Bankkonto konnte Haregewoin es sich leisten, sich für die Kinder ein besseres Leben vorzustellen als das ärmliche Dasein in dem heruntergekommenen Haus und dem staubigen Hof. Sie klapperte die besseren Stadtviertel ab und beschloss, zwei hübsche Häuser zu mieten: eines für die HIV-negativen Kinder und eines für die wachsende Zahl von HIV-positiven Kindern.
Sie ließ sich mit dem Taxi in den steilen Hügeln von Addis Abeba herumfahren und sah sich jedes Haus, das zu vermieten war, genau an. Sie drehte Wasserhähne auf und prüfte den Wasserdruck; wenn ihr der Gestank von Außenklos in die Nase stieg, wedelte sie mit der Hand vor ihrem Gesicht und machte auf dem Absatz kehrt; sie stand auf gepflasterten Straßen und schätzte die Entfernung zu Schulen und Krankenhäusern ab; und sie schaute böse, wenn Vermieterinnen versuchten, den Preis ihrer Häuser in die Höhe zu treiben.
In der Vergangenheit war sie gezwungen gewesen, ihre Absichten vor potenziellen Vermietern geheim zu halten, dass sie vorhatte, ein gemietetes Haus mit Aids-Waisen zu füllen. Sie war gezwungen gewesen, zu verschweigen, woher die Kinder kamen, was mit ihren Eltern passiert war, dass einige Kinder krank waren.
Aber allmählich wurde sie zu einer gewichtigen Persönlichkeit, einer Berühmtheit. Fremde kamen zu ihr; die reichste Frau in Addis Abeba hatte sie gebeten, die Geburtstagsfeier für ihre Tochter auszurichten. Eine Lokalzeitung hatte den in Good Housekeeping erschienenen Bericht auf Amharisch veröffentlicht. Für den Fall, dass er jemandem entgangen sein könnte - auf Englisch oder auf Amharisch -, hatte sie immer ein paar Kopien davon in ihrer Handtasche.
Schließlich fand sie zwei Häuser und mietete sie als Ersatz für das Haus mit dem Güterwaggon und dem Hof aus gestampfter Erde.
Den Eingang des größeren Grundstücks schmückte ein schmiedeeisernes Tor mit Messingverzierung; statt von Blechwänden war es von einer Steinmauer umgeben. Um einen gepflasterten Hof standen drei Häuser mit betonierten Veranden.
Auf dem kleineren Grundstück, das um die Ecke an einer breiten, unbefestigten Straße lag, warf eine kleine Baumgruppe kühlen grünen Schatten auf den rissigen Betonboden. Es gab mehrere alte Ziegelgebäude und eine Außenküche. Hier wurden die HIV-positiven Kinder untergebracht. Ihre Schlafzimmer waren groß und luftig, und es standen Stockbetten darin.
Dann erfuhr Haregewoin, dass sie aufgrund des Berichts in Good Housekeeping in Amerika einen Preis gewonnen hatte: den mit 10 000 Dollar dotierten Heroes-in-Health-Preis, gestiftet von General Electric. Die Herausgeber von Good Housekeeping luden sie ein, zur Preisverleihung nach New York zu kommen. Sie setzten sich wegen der beschleunigten Erteilung eines Visums mit dem amerikanischen Botschafter in Äthiopien in Verbindung, und ihrer Bitte wurde entsprochen.
Haregewoin fuhr mit dem Taxi zum Büro von Ethiopian Airlines und zeigte den Leuten dort den Bericht über sich. Ethiopian Airlines schenkte ihr ein Ticket für den Hin- und Rückflug, so dass sie nach Amerika fliegen und ihren Preis persönlich entgegennehmen konnte. Henoks Mutter Tigist versprach, sich während ihrer zweiwöchigen Abwesenheit um die Kinder in beiden Häusern zu kümmern.
An einem Dienstagmorgen Mitte November 2004 versammelten sich die Kinder im Hof des größeren Hauses, um Haregewoin zu verabschieden. Die großen Jungen schrien und johlten und schlugen auf die Motorhaube des Taxis. Aus irgendeinem Grund hatte Nardos gedacht, dass sie mitfahren dürfte, und als die Tür des Taxis zugeschlagen wurde, mit Maye drinnen und ihr draußen, ließ sie sich in der Einfahrt auf den Boden plumpsen, kniff die Augen zu, riss den Mund auf und heulte vor Enttäuschung laut los. Haregewoin ließ auf der ganzen Fahrt zum Flughafen den Kopf hängen, sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie all ihre Kinder zurückließ, sogar Nardos, um vor Fremden aufzutreten. Sie sagte sich, dass es um der Kinder willen geschah, natürlich; sie wollte Geld auftreiben, um besser für sie sorgen zu können. Sie versuchte, ihre Aufregung zu unterdrücken, aber bis jetzt hatte sie Afrika noch nie verlassen.
Teil 3
44
Haregewoin stieg in Frankfurt um, und als sie in Washington, DC, von Bord ging, wurde sie von Angestellten der Ethiopian Airlines in
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