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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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nicht ganz sicher, aber dem Ton nach zu urteilen, wurde ich einige Male scharf gerügt. Nun war es an mir, in der Gepäckausgabe zu stehen, durch die Glasscheiben auf den Parkplatz zu starren und mich erbärmlich zu fühlen. Ich setzte mich und traf aus der Ferne einige Vereinbarungen für Haregewoin. Ich erreichte einen der Herausgeber von Good Housekeeping , der einen Fahrdienst für sie organisierte, so dass binnen kurzem eine Limousine vor dem Queen of Sheba hielt, mit der Anweisung, Mrs. Teferra zum Le Parker Meridien Hotel zu fahren.
    Haregewoin verließ um elf Uhr nachts das Queen of Sheba mit einer Handtasche, in der massenhaft Visitenkarten und ein Bündel amerikanischer Dollarscheine steckte. Mehrere Leute begleiteten sie zum Wagen und halfen ihr beim Einsteigen. Küsse auf jede Wange, links, rechts, links, rechts; ein Sikh-Fahrer mit Turban hievte ihren schweren Koffer ohne Räder in den Kofferraum, und schon waren sie unterwegs zur 57. Straße West im Zentrum von Manhattan.
    Ich glaube, dass sie mich bis zum heutigen Tage verantwortlich dafür macht, dass sie verlassen am Flughafen Newark gestanden hatte.
    Aber abgesehen davon mochte sie Amerika sehr.
     
    Haregewoin Teferra stand hinter einem Mikrofon auf einem Podium, vor sich ein Publikum, das sich zum Mittagessen in einem Ballsaal des Rockefeller Center versammelt hatte, und verlas ein förmliches Statement über ihre Arbeit (mit sehr leiser Stimme und zittrigen Beinen, den Blick starr nach unten gerichtet). Als das Licht gedimmt wurde, verließ sie das Podium. Von der Decke wurde eine Leinwand heruntergelassen, und man sah ein kurzes Video über Haregewoins Leben mit den Aids-Waisen. Die Zuschauer legten ihre schweren Silbermesser und -gabeln ab und wischten sich mit steifen Stoffservietten Tränen aus den Augen.
    Nach dem Mittagessen eilte Haregewoin in die auf Hochglanz polierte Halle vor dem Ballsaal und breitete auf einer Theke die traditionellen äthiopischen Tücher und Schals aus, die von den HIV-positiven Webern hergestellt worden waren. »Zeigen Sie mir doch bitte, wie man ein solches Tuch trägt«, baten die in Hosenanzüge oder Kostüme gekleideten Amerikanerinnen - Redakteurinnen, Journalistinnen, Filmemacherinnen und Fotografinnen. Haregewoin stellte sich auf die Zehenspitzen, damit sie die shammas über ihre Köpfe und Schultern legen und drapieren konnte. Sie ließen sich mit ihr zusammen fotografieren. Weihnachten stand vor der Tür. Die Sachen waren im Nu verkauft.
    Wohin sie auch kam, überall wurde sie freundlich und respektvoll empfangen.
    Eine Frau wie sie! Eine Witwe, eine Frau, die Umgang mit Aids-Kranken und Aids-Waisen pflegte - eine weitere Bestätigung, dass es Menschen außerhalb Äthiopiens gab, die Bescheid wussten und die Mitleid empfanden.
    Sie war luxuriös untergebracht. Das Hotelzimmer in Manhattan war in Silber gehalten, mit einer grau-silbernen Tapete und einem taubengrauen Teppich; im Badezimmer schimmerte schwarzer Marmor. Graue Seidenkissen thronten auf dem riesigen Bett, und sie hätte die ganze Nacht lang mit der Fernbedienung herumspielen können und hätte doch nicht alle Sender gesehen. Und jeden Morgen wartete beim Verlassen des Hotels ein Wagen auf sie, und ein Portier mit weißen Handschuhen geleitete sie die mit einem Teppich belegte Treppe hinunter, damit er sie auffangen konnte, falls sie stolperte.
     
    Von New York flog sie nach Seattle, Washington und Atlanta. Sie besuchte Familien mit Kindern, die einmal bei ihr gelebt hatten. Sie schlief auf Gästebetten und ausgezogenen Schlafsofas; nachts bekam sie Besuch von Kindern mit kalten Füßen, die zu ihr ins Bett krochen, wie sie es vor langer Zeit in ihrem Haus in Addis Abeba gemacht hatten. In Seattle schlich die hübsche Frehiwot auf Zehenspitzen zu ihrem Bett, verbeugte sich und hielt ihr dreißig Dollar hin. »Hier, Emama , das habe ich für dich gespart, um dir zu helfen.«
    Bei mir zu Hause in Atlanta sah Haregewoin aufmerksam zu, wie meine achtjährige Tochter Helen ins Zimmer geflitzt kam, auf das Sofa sprang und von dort in meine Arme hüpfte. Helen unterbrach unser Gespräch, weil sie unbedingt eine Geschichte aus der Schule loswerden musste, dann ließ sie sich lachend auf das Sofa fallen, warf ihre Schuhe mitten ins Zimmer und biss laut krachend in einen Apfel. Als sie sich wieder davonmachte, berührte sie dabei kaum den Boden, sondern sprang vom Sofa zum Stuhl zum Couchtisch und erst dann auf den Boden. Haregewoin schüttelte den Kopf.

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