'Alle meine Kinder'
zu zwei hübschen neuen Heimen zurück; sie kehrte zu einem gut gefüllten Bankkonto zurück.
Sie mietete ein drittes Haus.
Es stand an der Gojam-Straße, in den Hügeln am Fuß der Berge. Es hatte zwei Stockwerke und war in einem tadellosen Zustand, die Wände in den Schlafzimmern hatten eine hübsche Holzverkleidung, es gab Einbauschränke, die großen Badezimmer waren gefliest. Es gab auch einen winzigen, sonnigen grünen Garten mit Topfpflanzen, einen weißen Kiesweg, eine Terrasse und eine Satellitenschüssel. Das beeindruckende Haus überragte alle anderen in dem Viertel mit den vielen Autowerkstätten und Fernfahrerkneipen. Kleine Ziegen- und Rinderherden trotteten die Straßenböschung entlang, und die Lastwagenfahrer, die auf ihren langen Strecken Tag und Nacht an dem Haus vorbeifuhren, schalteten auf dem Weg nach oben einen Gang herunter.
Es stand ruhig und sauber und leer da und gefiel ihr sehr gut.
»Wir werden ein Gästehaus daraus machen«, erklärte sie ihren Freunden. Sie überlegte, dass es als Gästehaus - eine Pension also - Geld für die beiden Heime einbringen könnte. Sie stellte in jedes Zimmer eine neue Korbwiege. Sie hoffte, dass Familien, die nach Addis Abeba kamen, um eines ihrer Kinder zu adoptieren, sich in das Gästehaus einmieten würden und dass sie selbst dort wohnen könnte. Sie ertrug die Trauer und Angst der Kinder nicht, wenn die neuen Familien sie ihr aus den Armen nahmen. Das Gästehaus würde den Übergang einfacher machen; die Kinder hätten weniger Angst, und auch die neuen Eltern wären sicherer, wenn sie in den ersten paar Tagen immer in greifbarer Nähe war. Ein Paar aus Spanien nutzte diese Gelegenheit sofort.
Ein neues Leben begann.
Haregewoins Tage wurden von ausländischen Besuchern, einheimischen Bürokraten,Adoptiveltern und potenziellen Spendern in Anspruch genommen. Sie hatte weniger Zeit für Klagen und Beschwerden; sie löste sehr viel öfter Kinder aus ihren Armen, als dass sie sie in die Arme nahm. Ständig hing sie am Telefon oder war auf dem Sprung. Manchmal gab sie potenziellen Spendern und alten Freunden zu Ehren ein Mittagessen oder empfing sie zum Kaffee in dem Gästehaus.
In den zwei Häusern lebten jetzt 80 Kinder: 50 HIV-negative Kindern, vom Säugling bis zum Jugendlichen, und 30 HIV-positive Kinder, von denen mit Ausnahme eines zwölfjährigen Jungen die meisten noch recht klein waren. Sie hatte ein Dutzend Betreuerinnen. Sie kaufte einen fünfzehnsitzigen Kleinbus und stellte einen Vollzeitfahrer ein. Sie beschäftigte einen Buchhalter, der alle Ausgaben abrechnete, die durch Spenden finanziert wurden.
Sie war noch nie so reich gewesen. In ihrem ganzen Leben nicht. Nicht einmal, als Worku noch lebte.
Und sie hatte sich noch nie so viele Sorgen um Geld gemacht.
Als sie so gut wie nichts gehabt hatte, hatte sie alles geteilt. Sie und die Kinder hatten zusammengekratzt, was ihnen in die Hände fiel, manchmal Getreide, manchmal Kohl, manchmal Geld. Das Essen oder das Geld, das sie hatten, teilten sie auch noch mit den Nachbarn, vor allem mit den HIV-positiven Frauen und Müttern. Sie hatten gemeinsam geschlemmt und gemeinsam gehungert.
Das hatte sich geändert. Da war diese unglaubliche Geldflut aus Amerika. Man hatte ihr Geld »geschenkt«. Die Leute hatten sie eine »Menschenfreundin« genannt. Wer wusste, ob sie noch einmal so viel Geld in Händen halten würde?
Daher stellte sie eine strikte Budgetplanung auf. Sie gab den Betreuerinnen und dem Koch jede Woche eine Hand voll Birr, mit denen sie Essen und Kleidung für die Kinder kaufen konnten. Wenn sie nicht ständig aufpasste, würden die Horden hungriger Kinder sich innerhalb weniger Monate durch das ganze Konto gefressen haben.
Sie hatte viel mit dem Geld vor. Sie wollte eine kleine, kostenlose Klinik für HIV-Positive und für Waisen eröffnen, in der sie nicht wie Aussätzige behandelt wurden.
Sie hoffte, dass das Geld viele Jahre vorhielt und dass sie noch viel mehr Kindern damit helfen konnte.
Sie sah sich selbst als eine Art Lotse an einer Kreuzung, an der sich die Wege von Slum-Kindern und reichen Ausländern trafen, die deren Leben beeinflussen konnten. Sie sah sich selbst als eine Art internationale Kontaktvermittlerin, eine Botschafterin der äthiopischen Straßenkinder bei europäischen und nordamerikanischen Wohltätern.
Währenddessen trugen die Kinder, die bei ihr lebten, abgerissene Schuluniformen und aßen zu jeder Mahlzeit Reis oder Nudeln.
Den älteren Kindern
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