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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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wurde es auf dem Hof langweilig, und sie hingen unzufrieden herum. Die Kleineren fühlten sich von Haregewoin ungeliebt und im Stich gelassen; entweder hatte sie zu tun und rannte herum, oder sie schmuste und lachte mit Nardos. Keiner hatte Lust, immer nur Reis und Nudeln zu essen, keiner hatte Lust auf die Hausarbeit, und in ihren zerschlissenen Schuluniformen sahen sie wie Bettler aus.
    »Ich möchte mich nicht immerzu um die Babys kümmern müssen«, protestierte Tamrat.
    »Stell dich nicht so an«, erwiderte Haregewoin ungerührt.
    Die Kinder hatten die Wärme und ungeteilte Aufmerksamkeit von Haregewoin verloren; sie schien nur noch ihre Zukunftspläne im Kopf zu haben, ihr Geld, ihre Besucher; so kam es, dass auch sie immer mehr an die Zukunft dachten. Sie sehnten den Tag herbei, an dem sie gehen konnten. Die Älteren beteten, dass sie in das Waisenhaus einer Adoptionsagentur kamen und für sie das fast unerträgliche Warten auf den Tag, an dem sie von einer fernen Familie in Amerika ausgesucht wurden, begann.
    Nur Nardos durfte zu allen Tages- und Nachtzeiten zu Haregewoin; für Nardos ließ Haregewoin alles stehen und liegen. Wenn Nardie aufstand und » Amaye? « rief, antwortete Haregewoin » Abet? Was ist?«, und Nardie lief los, um sie zu suchen.
    Immer wenn sie Nardos sah, erstrahlte ein Lächeln auf Haregewoins Gesicht wie der Mond, der am Nachthimmel aufging.
    Mit siebzehn Monaten beugte Nardie den Kopf, legte die Hände zusammen und lispelte ein Tischgebet, bevor sie aß. Sie nahm Haregewoins Telefon ab und überschüttete den Anrufer mit einem wilden Kauderwelsch, eine Hand wichtigtuerisch in die Hüfte gestützt. Sie hatte erst ein paar Milchzähne, kommandierte jedoch die anderen Kinder schon herum und drohte ihnen mit dem Finger. Sie nahm Haregewoins Tuch und wickelte sich darin ein. Ihre dicken Füße wurden in rote Ledersandalen gesteckt. Sie klimperte mit den Wimpern ihrer zimtfarbenen Augen. Ihre Haare standen ihr in braunen Büschelchen vom Kopf ab.
    Zu Nardies zweitem Geburtstag gab Haregewoin eine Party in ihrem Wohnzimmer. Ihre alten Freunde kamen und brachten Geschenke, und Nardie, in einem knallgrünen Kleid mit Puffärmeln, tanzte ihnen etwas vor, während Haregewoin sang und in die Hände klatschte.
     
    Dann kam eines Nachmittags der äthiopische Vertreter einer spanischen Adoptionsagentur zu Besuch, trank Kaffee und öffnete seine Brieftasche.
    Es war ein sonniger Wochentag, und nur die Kleinkinder und Säuglinge waren zu Hause. Mädchen, die noch nicht in die Schule gingen, saßen auf der im Sonnenlicht liegenden Treppe des Haupthauses, die Hände im Schoß, und zwitscherten wie Spatzen miteinander. Plötzlich verzog sich das Gesicht eines der Kinder, und es fing an zu weinen; eines der anderen hatte etwas Gemeines gesagt; aber Waisenkinder hatten nicht nur gelernt, sich gegenseitig wehzutun, sondern auch, wie man sich gegenseitig tröstete; es rutschte also sogleich eine Freundin näher, umarmte das traurige Mädchen und gab ihm einen Kuss auf das Ohr, in das die verletzenden Worte eingedrungen waren.
    Nardos, der kleine Liebling, raffte die Röcke wie eine Bauersfrau und stapfte die Stufen zu ihrer Mutter hoch.
    » Amaye? «
    » Abet? «
    Nardos wollte Bericht über den Streit auf der Treppe erstatten und brabbelte in ihrer Babysprache los.
    »Komm her, mein Schätzchen«, sagte Haregewoin und streckte ihr die Arme entgegen.
    »Haben Sie schon einmal daran gedacht, für die Kleine ein richtiges Zuhause zu suchen?«, fragte der Mann von der Agentur so taktvoll wie möglich. Er sagte nichts zu dem Altersunterschied; Haregewoin musste sechzig oder fast sechzig sein, während Nardos zwei Jahre alt war.
    Haregewoin nahm Nardos auf den Schoß und hob die Kaffeetasse an den Mund, um sich dahinter zu verstecken, ließ den Dampf zwischen sich und dem Mann emporsteigen.
    Ich weiß, dass die Leute so denken, dachte sie, aber ich weiß nicht, warum. Ich finde das falsch. Wir müssen doch nicht jedes einzelne äthiopische Kind außer Landes schicken. Nardos geht es gut bei mir. Man muss sich nur ihre hübschen Kleider ansehen, ihr strahlendes Lächeln, wie klug sie ist. Gäbe es für Nardos eine bessere Mutter als mich? Der Mann soll erst einmal sein eigenes Kind außer Landes schicken.
    Als sie die Tasse abgestellt hatte, schickte sie Nardos wieder hinaus zum Spielen; ihre Miene war abweisend.
    »Kommen Sie«, sagte sie und führte den Mann in das Säuglingszimmer, wo ein halbes Dutzend Babys

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