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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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in Gitterbetten und Korbwiegen lag, einige schliefen, andere strampelten und fuchtelten mit den Ärmchen in der Luft herum und suchten nach Kontakt.
    Aber die Worte des Mannes von der spanischen Adoptionsagentur verfolgten und bedrückten Haregewoin.
    Immer wenn sie daran dachte, zog sich ihr Herz zusammen. Ein Gefühl ähnlich Heimweh. Wie damals bei Menah. Und bei Atetegeb.
    Das darf nicht noch einmal passieren.
    An diesem Nachmittag kamen Freunde von Haregewoin zum Kaffee, und Nardos stolzierte wie immer vor ihnen herum, wohl wissend, dass sie bewundert wurde. Sie trug eine weiße Rüschenbluse, eine orangefarbene Kordlatzhose und winzige rote Turnschuhe. Sie hatte noch nicht genug Haare für kleine Zöpfchen - die feinen braunen Haare standen ihr pusteblumenartig vom Kopf ab -, und Haregewoin hatte ihr ein gekraustes Haarband um den Kopf gelegt. Die Frauen lachten entzückt (sie lachten immer entzückt), als Nardos den Telefonhörer abnahm und in ungeduldigem Ton etwas hineinbrabbelte. Sie war eine Miniaturausgabe von Haregewoin. »Sie ist so schlau!«, sagten alle. »Sie ist genau wie du!«, sagten sie und lachten.
    Sie schmeicheln mir, begann Haregewoin zu denken. Sie haben gemerkt, dass sie mir am leichtesten schöntun können, indem sie Nardos loben. Sie fragen sich, ob ich sie für immer bei mir behalten will, wo ich doch alle anderen Kinder hergebe, damit sie bei Familien im Ausland unterkommen.
    Die Vorstellung, dass ihre alten Freunde hinter ihrem Rücken schlecht über sie reden könnten, weil sie Nardos verwöhnte, verletzte sie sehr.
    Offenbar hatten sie sich daran gewöhnt, dass Haregewoin Kinder in Pflege nahm, ein paar von den vielen äthiopischen Waisenkindern half und sie dann weitergab.
    Offenbar war es für sie undenkbar oder unangemessen, dass sie eines für sich behalten könnte.
    Vor gar nicht so langer Zeit, dachte sie bitter, waren ihnen all diese Kinder gleichgültig! Sie wollten mit den Aids-Waisen nichts zu tun haben. Mittlerweile helfen sie mir, geben mir Geld, sind nett; aber dafür meinen sie plötzlich auch zu wissen, was das Beste für ein Kind ist.
    Sie wünschte sich, dass sie ihnen nicht gezeigt hätte, wie sehr sie Nardos liebte. Es war, als missgönnten ihr die alten Freunde - und selbst die Leute von den Adoptionsagenturen - dieses kleine Glück. Sie wünschte, sie wüssten nichts davon. Sie wünschte, keiner könnte ihr Kind inmitten der schmutzigen Kinderschar im Hof ausmachen. Sie fing an, Nardie auf Distanz zu halten, wenn Besuch kam.
    Wenn Nardie nun die Stufen hinaufstürmte und » Amaye! « rief, antwortete sie nicht mehr mit einem zärtlichen » Abet? «, sondern zeigte ihr die kalte Schulter und sagte: »Nicht jetzt, Nardos.«
    Dafür entschädigte sie sie nachts, wenn sie beide allein waren. Sie war diejenige, die Nardos das niedliche Nachthemd anzog und sie dabei kitzelte und knuddelte; es waren ihre besonderen Augenblicke, wenn sie zusammen auf Haregewoins Bett saßen. Sie las Nardos vor und zeigte ihr die Buchstaben des fidele , des Alphabets. Nardos liebte es, ihre Hand an Haregewoins Ausschnitt zu legen, ihr Gesicht dagegenzudrücken und tief einzuatmen; sie roch gern den Hauch von Parfüm, der dort haftete, und im Tausch drückte sie ihr einen zarten Kuss darauf. Wenn Nardos in Haregewoins Bett wartete und Haregewoin nicht kam, weil sie in dem kleinen Zimmer, das ihr als Büro diente, beim Licht der Schreibtischlampe sitzen geblieben war, um Akten durchzusehen und Konten zu prüfen, dann machte sich Nardos auf die Suche nach ihr.
    » Nay, komm, Maye «, sagte sie. »Wir wollen uns hinlegen und ›Ah, ah, ah‹ machen.«
    Spätabends also, wenn die Büroarbeiten endlich erledigt waren und alles schlief, dann legte Haregewoin ihre Lesebrille ab, rieb sich die Augen und schleppte sich die Stufen zu ihrem Zimmer hoch, um sich neben ihrer Kleinen ins Bett zu legen.

46
    Haregewoin und Nardos wurden mitten in der Nacht durch die heiseren Schreie eines Jungen geweckt. Er musste Schmerzen haben und rief: »Nein, nein, halt, Hilfe! Bitte helft mir doch!«
    »O Gott«, rief Haregewoin. Sie sprang aus dem Bett, stolperte die Treppe hinunter, rannte über den Hof und auf der anderen Seite die Treppe zum Haus der Jungen hinauf. Im Hauptraum reihten sich die Betten aneinander, auf jedem eine gestreifte Wolldecke.
    Wasihun, dreizehn, saß auf seinem niedrigen Bett. Sein rotfleckiges Gesicht war tränenüberströmt, er schrie: »Er ist zu mir ins Bett gekommen! Er ist in

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