'Alle meine Kinder'
haltend, teils als Friedensangebot und teils zum Schutz gegen alles, was auf sie zukommen mochte. Vorsichtig öffnete sie die Tür zu Violets und Ababus Zimmer. Ababu sprang auf und rannte mit ausgebreiteten Armen auf sie zu, das gewohnte breite zahnlose Lachen im Gesicht. Er warf sich in ihre Arme. Ihr Herz flog ihm zu.
Ein paar Tage später fuhr Janice mit, als Susan Ababu zum Arzt brachte. Ababu saß in seinem Kindersitz und rief: »Ghee!« Er rief seine Großmutter. Als sie sich umdrehte, trafen sich ihre Blicke.
»Weißt du, zwischen uns hat es gefunkt«, sagte sie an diesem Abend zu ihrem Schwiegersohn. »Zwischen uns hat es ganz einfach gefunkt.«
Wenn Janice Bennett jetzt zu Besuch kommt, betritt sie das Haus mit ausgebreiteten Armen und einem breiten Lächeln und ruft: »Wo steckt mein Junge?«
»Wenn Ababu sich wie ein Eineinhalbjähriger verhalten hat, als er zu uns kam, dann würde ich sagen, dass er jetzt sich etwa wie ein Dreijähriger verhält, was meinst du?«, sagte Dave eines Abends. »Nach gerade mal sechs Monaten. Ist das nicht ein erstaunlicher Fortschritt?«
Susan konnte ihm nur beipflichten.
»Man kann praktisch dabei zusehen, wie er sich verändert und entwickelt«, sagte Dave.
»Er hat jetzt einen aktiven Wortschatz von hundert Wörtern«, sagte Susan. »Und einen passiven von vielleicht tausend.«
Sie stellten fest, dass Ababu manchmal sehr still wurde und in die Ferne sah, als würde er sich an etwas erinnern.
Versuchte er, die beiden unvereinbaren Hälften seines Lebens zusammenzufügen, zu begreifen, wie er von dort (mutterlos, schmutzig, hungrig) nach hier (im Flanellschlafanzug und kuscheligen Socken von jemandem ins Bett gebracht werden und eine Gutenachtgeschichte vorgelesen bekommen) geraten war?
Inzwischen ist er ein bildhübsches Kind mit weichen Locken und dichten Wimpern, strahlenden, glücklichen Augen und einem umwerfenden Lächeln. In seiner Jeans-Latzhose, den gelben Gummistiefeln, dem roten Parka und der blauen Mütze mit den flauschigen Ohrenklappen ist er der niedlichste Junge in ganz Michigan.
»Vielleicht hat er gar keine ›besonderen Bedürfnisse‹«, sagte Dave eines Abends. »Sagen wir einfach mal, er hat ›einzigartige Bedürfnisse‹.«
Ababu ist einzigartig. Nicht viele Kinder schaffen die Verwandlung von einem halb verhungerten afrikanischen Waisenkind, das am Rande des Todes schwebt, zu dem wohlgenährten, wohlbehüteten Kind eines Lehrerehepaars, das ihn fragt: »Willst du deinen Apfelsaft in dem rosa Becher oder in dem grünen Becher, Ababu?« Wie hätte man eine Prognose abgeben können, wenn es nur wenige Kinder gibt, die diesen Weg bis hierher zurückgelegt haben?
Vor kurzem sagte Dave zu Susan: »Ich mache mir keine Sorgen mehr. Wenn es stimmt, dass ein gutes Zuhause zwanzig Punkte auf der IQ-Skala ausmacht und er wenigstens achtzig hat, dann ist es in Ordnung. Ich glaube, bei ihm dreht sich jedes Rädchen so, wie es soll.«
Welche körperlichen und kognitiven Herausforderungen auf Ababu Armistead warten mögen, eines ist klar: Was er im Übermaß besitzt, ist die Fähigkeit zu lieben. Liebe war das Einzige, was ihm seine erste Mutter und seine Urgroßmutter geben konnten; von Haregewoin hat er ebenfalls einiges über die Liebe gelernt, und er liebt Dave, Susan, Tim, Dawson und Violet von ganzem Herzen.
»Habt ihr vor, seinen Namen zu ändern?«, werden sie von vielen Leuten gefragt.
»Nein«, erwidert Susan dann. »Als er zu uns kam, war er kein Baby mehr wie Violet - er kannte seinen Namen. Seine leibliche Mutter hat ihm diesen Namen gegeben, und das respektieren wir. Sein Name ist das Einzige, was er mitgebracht hat. Außerdem ist er das: Er ist Ababu.«
54
Selbst nach Einbruch der Dunkelheit nehmen das verdorrte Gras in den Gärten, die gepflasterten Bürgersteige und die spitzen Stacheln der Yuccabüsche in Phoenix, Arizona, noch die mitsommerliche Hitze auf. Die heiße Wüstenluft drückt gegen die Doppelglasfenster und die geschlossenen Garagentore. Alles, was man draußen hat liegen lassen - einen zusammengerollten Gartenschlauch, ein Fahrrad, einen Fußball - ist zu heiß, um es anzufassen. Irgendjemand muss diese Hitze kubikkilometerweise direkt bei der Sonne bestellt haben, und sie wurde geliefert, und jetzt ist sie hier und macht sich breit. Sie gehört zur Landschaft wie Himmel und Erde. Aus klimatisierten Zimmern blicken die Leute hinter Jalousien und Vorhängen hervor nach draußen und sehen sie in ihrer unsichtbaren
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