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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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andere Art, war der Föhn, der im Badezimmer im ersten Stock an der Wand hing. Wenn er auf einen Knopf drückte, kam heiße Luft aus der Düse und wärmte sein Gesicht. Das brachte ihn zum Lachen. ( Bei diesem Klima? , hätte er denken sollen. Sie brauchen ein elektrisches Gerät, um in Phoenix heiße Luft zu produzieren? ) Wenn man auf einen Knopf an dem riesigen Fernseher drückte, erwachte Pocahontas zum Leben. Wenn sein Vater ihn hochhob, konnte er auf einen anderen Knopf drücken, und das große Garagentor setzte sich rumpelnd in Bewegung.
    Er nahm seine neuen Kleider in die Arme und küsste sie. Das Gleiche machte er mit seinen neuen Schuhen, jeder Schuh bekam einen Kuss. Als er die neuen Sachen anhatte - ein T-Shirt mit bunten Streifen und eine kurze Jeans-Latzhose -, rannte er zu dem hohen Spiegel im Schlafzimmer seiner Eltern und gab seinem Spiegelbild einen Kuss. Im Erdgeschoss gab es einen ganzen Schrank voll Spielsachen - eine Wagenladung Bauklötze, Magnetbuchstaben, Mickymaus-Puzzles -, und er durfte den Schrank aufmachen, wann immer er wollte, außer zur Schlafenszeit. Gerade dann hätte er ihn natürlich am liebsten aufgemacht.
    Toilettenpapier fand er ausgesprochen lustig.
    Er hatte ein Faible für Armbanduhren. »Mintys!«
    »Nein, Minty, das ist Mommys Uhr.«
    »Mintys!«
    »Bring sie zurück in Mommys Zimmer.«
    »Nein!«, schrie er. »Mintys.« Aber er stapfte die Treppe hinauf, um die Uhr zurückzubringen.
    Er kehrte mit einer eleganteren Uhr zurück. »Mintys?«
    Für seinen ersten Ausflug nach Disney World kauften ihm seine Eltern einen kleinen Trolley. Er trug ihn auf dem Kopf durch den Flughafen, wie man es in Afrika machte.
    Eines Abends, sechs Wochen nach Mintesinots Ankunft, sagte Karen zu Bill: »Ich habe mich so gründlich auf das Schlimmste vorbereitet. Ich habe über Bindungsprobleme, posttraumatische Belastungsstörungen, Trauer im Kindesalter gelesen. Ich habe ganz vergessen, über ein normales Kind nachzudenken. Was soll ich jetzt bloß machen?«
    »Er kann ja immer noch anfangen zu spinnen«, sagte Bill. Bill verbrachte seine Nachmittage in der Turnhalle der Highschool mit den unterschiedlichsten Jungen.
    Karen lieh sich trotzdem in der Bibliothek Bücher über die Erziehung eines normalen amerikanischen Kindes aus der Mittelschicht aus. Sie lernte, dass man bis drei zählen sollte, nachdem man dem Kind etwas aufgetragen hatte, und zu sanften Strafen greifen, wie Verhängung einer Auszeit, wenn das Kind der Anweisung nicht folgte.
    »Ich komme fast nie weiter als zwei«, beklagte sie sich abends bei Bill.
    »Wart’s ab. Lass ihm Zeit. Wir haben das Schlimmste noch nicht mitbekommen.«
    Drei Monate nach seiner Ankunft war Mintys Benehmen sogar noch besser geworden.
    »Und jetzt?«, fragte sie eines Abends.
    »Tja«, sagte Bill, »er ist einfach so.«
    »Er ist ein toller kleiner Junge!«, rief sie.
    »Er ist erstaunlich.«
    »Er ist Linkshänder«, sagte sie verwundert.
    »Er ist unglaublich kräftig. Er kann einen Ball treten, einen Ball werfen...«
    »Er wird später mal Ringer«, sagte sie.
    »Und was für einer. Hast du seine Schultern gesehen?«
    Abends machte Minty im Wohnzimmer Klimmzüge und Situps und ließ sich von seinem Vater Ringergriffe beibringen.
    »Bill? Minty hat heute Morgen in der Kirche zwei kleine Mädchen zu Boden geworfen«, sagte Karen an einem Sonntagnachmittag.
    »Ich weiß«, sagte Bill. »Hast du seine Technik bemerkt?«
    »Bill!«
    »Okay, ich rede mit ihm... Aber hast du seine Technik bemerkt?«
    Eines Tages fuhren sie mit Minty in einen Streichelzoo, und beim Anblick der Ziegen geriet er in helle Aufregung. »Schaut!«, rief er. »Wie in Äthiopien! Wir fahren Äthiopien?«
    »Ja, irgendwann fahren wir hin, wenn du ein bisschen größer bist«, versprachen sie ihm.
    »Und kommen dann gleich wieder?«
    »Ja, wir fahren hin und kommen dann wieder zurück.«
    An einem anderen Tag erzählte er Karen: »Meine Mama trägt mich auf dem Rücken.«
    »Was hast du gemacht, wenn du aufs Klo musstest?«, fragte sie. »Bist du auf die Straße gegangen?«
    »Nein, Mommy«, sagte er tadelnd.
    »Sondern?«
    Als wäre das völlig klar, erwiderte er: »In meine Hose.«
    Eines Nachmittags legte sich Karen aufs Sofa, und Minty kam angelaufen und fragte: »Mommy, auf dir liegen?«
    »Klar!«
    Er kletterte auf sie und legte seinen Kopf auf ihre Brust.
    »Hast du so mit Abi und Enat dagelegen?«, fragte Karen.
    Mit einem traurigen Lächeln sagte er ja.
    »Mit deiner

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