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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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Monstrosität schimmern. Neun Uhr abends, 42 Grad. Außerhalb der Stadt, in der Sonora-Wüste, 50 Grad.
    Hinter einem ziegelgedeckten Haus in einer kurzen Sackgasse liegt ein kleiner runder Swimmingpool. Unterwasserlampen lassen Lichtflecken im Wasser tanzen. Am Rand der nass gespritzten Terrasse sitzt eine Mutter auf einem Liegestuhl, auf dem Schoss ein trockenes Handtuch. In dem Pool steht ein Vater mittleren Alters mit einem breiten Brustkorb bis zur Taille im lauwarmen Wasser. Am Rand des Pools springt ein kleiner Junge in einer bunt gemusterten Badehose mit angezogenen Beinen in die Luft, klatscht auf der Wasseroberfläche auf und geht unter wie ein Stein.
    Die Mutter richtet sich auf ihrem Liegestuhl auf und beugt sich mit aufmerksamem Blick ein wenig nach vorn, um das Geschehen zu verfolgen.
    Der Vater - Trainer der Ringermannschaft an der Highschool - greift mit beiden Händen in das schäumende Wasser, als wäre er König Midas und würde in einem Haufen Gold greifen, und zieht den tropfenden Jungen heraus.
    »Ich hab’s geschafft! Daddy, hast du’s gesehen? Mommy, hast du’s gesehen?«
    »Ich hab’s gesehen!«, ruft die Mutter. Sie trägt ein ärmelloses weißes Oberteil, Caprihosen und goldfarbene Sandalen und hat lange blonde gelockte Haare. Ihr Gesicht und ihre Arme sind rosig und das ganze Jahr über mit Sommersprossen bedeckt. Sie denkt: Natürlich habe ich es gesehen. Ich kann keinen Blick von dir wenden. Seit dem Moment deiner Ankunft habe ich nichts anderes mehr angesehen.
    »Noch mal?«, ruft der Junge, und bevor die Mutter sagen kann, dass es Zeit zum Schlafengehen ist, bevor der Vater »genug« sagen kann, schlägt er einen Purzelbaum, verschwindet in einer Wasserfontäne und wird erneut aus der Tiefe gefischt. Tropfnass brechen Vater und Sohn in lautes Gelächter aus. Sie umfassen einander, die nassen Haare nach hinten gestrichen, glänzend wie Seehundfell. Die Mutter entspannt sich.
    Die beiden weißen Amerikaner, Karen und Bill Cheney, lernten sich kennen, nachdem jeder von ihnen eine gescheiterte erste Ehe, eine Scheidung und eine lange Zeit des Alleinseins hinter sich hatte. Sie ist Krankenschwester, und er ist Ausbildungskoordinator und Ringkampftrainer. Sie lernten sich in einem Krankenhaus in Phoenix kennen. Sie war hübsch, hatte ein überschäumendes Temperament und lachte viel, er war gutmütig und verlässlich. Sie heirateten 1994, als sie dreißig und er dreiunddreißig Jahre alt waren. Bills Sohn aus erster Ehe wuchs zu einem wunderbaren jungen Mann heran, inzwischen geht er auf die Marineakademie. Karen und Bill führten ein ruhiges Leben, bis dieser bezaubernde äthiopische Junge in ihrem Leben einschlug wie eine Kanonenkugel.
    Der Mann nimmt den Dreijährigen Huckepack, steigt mit ihm aus dem Swimmingpool und liefert ihn bei der Mutter ab; sie hüllt ihn wie ein Baby in das flauschige Handtuch und geht mit ihm nach oben, um ihn noch kurz in die Badewanne zu stecken. Sie wird ihm die Haare rubbeln, sie wird Babyöl auf seiner kräftigen kleinen Brust und seinen rundlichen Armen und hinter seinen niedlichen abstehenden Ohren verteilen, sie wird ihm einen kurzärmligen Schlafanzug überstreifen und dann wird sie an seinem Bett sitzen bleiben, bis er eingeschlafen ist.
    Der Junge heißt William Mintesinot Eskender Cheney. Minty war der erste Junge, den Haregewoin von der Straße geholt hatte.
     
    2003 wurde Karen auf die Kinderintensivstation gerufen und bekam den schlimmsten Fall zugeteilt, mit dem sie jemals zu tun gehabt hatte: Samuail, ein vierzehn Monate alter Junge, der von seiner geistig verwirrten, wütenden Mutter in kochendes Wasser getaucht worden war. Es war die Strafe dafür, wie sie später erklärte, dass er das Essen so schnell hinuntergeschlungen und sich deswegen auf ihrem neuen Teppich übergeben hatte. Er war das jüngste ihrer sieben Kinder.
    Seine Beine sehen aus wie bei einem gekochten Hühnchen , dachte Karen. Zusätzlich zu den Verbrennungen dritten Grades an Füßen und Beinen wies er Bisswunden auf, zahlreiche Blutergüsse und andere Spuren von Schlägen. Schlimmer als die Spuren, die die körperlichen Misshandlungen hinterlassen haben, ist es, dass er aufgegeben hat. Er hat beschlossen, nicht mehr zu leben. Er reagiert auf gar nichts.
    Der Kleine zeigte nur dann eine Reaktion, wenn seine Mutter zu Besuch kam, vor ihrer Verhaftung: Er hatte so viel Angst vor ihr, dass er am ganzen Leib zitterte.
    Karen machte Überstunden, um an Samuails Bett zu

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