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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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Mutter oder deinem Vater?«
    Immer noch lächelnd sagte er: » Enat .«
    »Warst du dabei, als Enat gestorben ist?«, fragte Karen den Dreijährigen.
    Sein Gesicht wurde ernst; er nickte.
    »Was hat Enat gesagt?«
    » Enat aua, weh, weinen«, sagte Minty.
     
    An einem Nachmittag im Winter machten die Cheneys ein Feuer im Garten, von dem Minty ganz begeistert war. »Habt ihr in Äthiopien Feuer gemacht, Minty?«, fragten sie.
    »Ja«, erwiderte er mit geistesabwesendem Blick und wurde still. »Mein Vater macht Feuer.«
    »Hat er ein Feuer gemacht, damit du und deine äthiopische Mama es warm haben?«
    Minty sagte ja, mit demselben geistesabwesenden Lächeln.
    Später an diesem Abend nahm Bill Minty an der Hand, und sie gingen auf der Suche nach einem verloren gegangenen Baseball die dunkle Straße hinunter zum Kanal. Minty rannte voraus, und Bill rief ihn zurück, um ihn wieder an die Hand zu nehmen.
    »Wir müssen uns an der Hand halten, damit uns keiner wegnimmt, oder, Daddy?«, fragte Minty.
    »Mir wurde richtig schwer ums Herz«, erzählte Bill später Karen. »Ich fragte mich, ob er an seinen letzten Tag mit Eskender gedacht hat.«
    Zu dem Jungen sagte er: »Keiner nimmt uns einander weg, Minty, aber es ist trotzdem gut, wenn wir uns an der Hand halten.«
    Vor der Ankunft ihres Sohnes hatten die Cheneys ein Foto bekommen, auf dem Eskender und Mintesinot nebeneinander vor ihrer kleinen, aus Blech und Lumpen zusammengebauten Unterkunft auf dem Bürgersteig stehen. Karen rahmte das Foto und stellte es auf das Regal neben Mintys Bett.
    Mintesinot lebte bereits zwei Monate bei seinen neuen Eltern in Amerika - und hüpfte jeden Morgen und jedem Abend an dem Foto vorbei -, bevor er es entdeckte. Eines Abends riss er vor Überraschung und Freude den Mund auf. » Abi ! Mein Papa!«, rief er mit hoher Stimme. Er nahm das Foto, betrachtete das Bild des Mannes, und dann küsste er es.

55
    Eines schönen Montagmorgens im Februar 2006 saß Haregewoin auf ihrem Bett, die Füße in den Sandalen auf den Boden gestemmt, rings um sich wichtige Unterlagen ausgebreitet. Der Telefonapparat stand auf einem Küchenstuhl neben ihr; das Handy steckte in der Tasche ihres Hauskleids. Es klingelte.
    » Allo? Abet? « Gespannt hörte sie zu, und nach einer Weile vertieften sich die Fältchen um ihre Augen, und sie lehnte sich lachend zurück.
    Zu ihren Füßen saßen drei Mädchen im Vorschulalter, noch zu klein, um jeden Morgen mit den Schulkindern in ihren braunen V-Ausschnitt-Pullovern durch das Tor zu stapfen. Die drei saßen still auf dem Boden in der Sonne und sahen sie an. Sie sahen sie an, als würden sie sich eine vormittägliche Kindersendung wie die Sesamstraße ansehen. Sie sahen sie bewundernd an. Sie sahen ihr zu, wie sie das Handy aus der Tasche zog und aufklappte, sie sahen ihr zu, wie sie es wieder zuklappte und zurücksteckte; sie sahen ihr zu, wie sie mit einem Stift etwas auf einem Block notierte. Mit untergeschlagenen Beinen saßen sie da, sahen ihr zu und rückten etwas näher. Jedes der Mädchen war froh, wieder eine Mutter zu haben oder - wie Haregewoin vorgeschlagen hatte, dass sie sie nennen sollten, eine Großmutter, Emama . Ihre dicken kurzen Haare waren inzwischen ergraut, und sie ließ sie so. Hin und wieder sah sie die Kinder über den Rand des Blatts Papier in ihrer Hand und den Rand ihrer Lesebrille hinweg an; ihr Blick allein genügte, damit die Mädchen zu kichern begannen und etwas näher zu ihr rutschten.
    Die Unterlagen, in denen sie las, waren Briefe zu ihrer Unterstützung, Briefe, die sie entlasteten, sie freisprachen, ihr erlaubten, ihre Arbeit fortzusetzen.
    Den ersten Hoffnungsschimmer hatte ein Brief des Justizministeriums mit Poststempel vom 2. Januar 2006 gebracht:
    Darin hieß es:
    Es ist festzuhalten, dass unsere Behörde aufgrund der uns zugegangenen Informationen über Ihre Einrichtung eine Kommission gebildet hat, die eine Untersuchung der in Ihrer Einrichtung aufgetretenen Probleme hinsichtlich Leitung, Organisation, Versorgung der Kinder und Sonstigem durchführt. Den ersten Untersuchungsberichten ist zu entnehmen, dass es in Ihrer Einrichtung einige Probleme gibt, aber wir sind zu der Ansicht gelangt, dass diese Probleme nicht so gravierend sind, dass sie die Schließung Ihrer Einrichtung rechtfertigen.
    Wir setzen Sie hiermit davon in Kenntnis, dass Sie Ihre Einrichtung bis zum Abschluss der laufenden Untersuchung und bis zu einer Entscheidung über den Abschluss der Angelegenheit

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