Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle meine Schuhe

Alle meine Schuhe

Titel: Alle meine Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hepburn Lucy
Vom Netzwerk:
Gesprächsfetzen. Offenbar lag er zusammen mit seiner Frau Lisa im Bett und erklärte ihr gerade, wer dran war.
    Ein schrecklicher Gedanke traf Amy wie ein Blitz.
    Wenn er nun Lisa nie davon erzählt hat? Was habe ich mir dabei gedacht, ihn mitten in der Nacht anzurufen, wenn sie neben im liegt?
    Sie war richtig erschrocken, wie sehr ihr diese Vorstellung zusetzte. Lisa war ihr immer sympathisch gewesen, wenn sie sie mal am Telefon hatte. Und wenn Sergei von ihr erzählte, fing sein Gesicht jedes Mal an zu strahlen. Amy hatte sich hin und wieder gefragt, ob sie Lisa wohl je kennenlernen würde. Aber nun waren die Voraussetzungen ganz anders. Aus Lisa, der Frau ihres Freundes, war jetzt die Frau ihres Vaters geworden …
    Ich habe eine Stiefmutter!
    Die missmutigen Gesichter von John, Paul, George und Ringo ihr gegenüber wirkten absolut unbeeindruckt von dieser Hammernachricht.
    Ich will keine Stiefmutter! Jeder weiß, was in den Märchen passiert.
    »Also gut, Amy, ich bin jetzt aufgestanden, und Lisa macht uns gerade Tee.«
    »Warum hast du mir nichts gesagt?« Die Frage kam wie aus der Pistole geschossen.
    Sergei seufzte. »Ich wollte ja, jede Sekunde, in der ich mit dir zusammen war, aber ich konnte nicht.«
    »Hast du dich geschämt?« Wieder einmal klang Amys Stimme nicht wie die ihre.
    »Geschämt?«, wiederholte Sergei. »Wie könnte ich mich denn deiner schämen?«
    »Nicht wegen mir!«, rief Amy laut. »Ich meinte dich! Ob du dich geschämt hast, eine Affäre mit meiner Mutter gehabt zu haben, hinter … hinter dem Rücken meines Vaters?«
    »Amy, bitte hör mir erst zu.« Sergei war anzumerken, wie sehr er sich bemühte, ruhig zu bleiben. Sein Ton klang gefasst, aber Amy konnte ihn atmen hören, flach, nervös, schnell. »Ich habe Patrick nicht hintergangen. Er war ein toller Kerl.«
    »Aber …«
    »Und auch deine Mutter hat Patrick nicht betrogen.«
    »Doch, das hat sie. Sie hat … mit dir geschlafen!« Amy umklammerte das Telefon so fest, dass ihre Finger schmerzten.
    »Hör zu, kann ich zu dir kommen?«, fragte Sergei. »Das Ganze ist eine sehr lange Geschichte, und es wird Zeit, dass du sie endlich hörst. Ich könnte morgen bei dir sein. Wenn ich jetzt losfahre …«
    »Ich hätte sie schon vor Jahren hören sollen!«, schrie Amy, zerrissen zwischen Wut und Verwirrung über das, was Sergei ihr sagte.
    »Vielleicht«, räumte Sergei ein. »Aber wir hielten es für das Beste, dir nichts zu sagen. Vertrau mir Amy, Patrick wurde nicht hintergangen.«
    »Aber …«, setzte Amy an, doch dann fiel der Groschen. Wenn Patrick nie getäuscht wurde, dann hatte er es gewusst! Patrick, der ihr Radfahren beigebracht, ihr sonntagmorgens Pfannkuchen gebacken und Sterne an die Decke ihres Kinderzimmers gemalt hatte, wusste die ganze Zeit, dass er nicht ihr Vater war. Tränen brannten in ihren Augen. Amy blinzelte.
    Und dann stellte sie eine Frage, die ihr schon die ganze Zeit im Kopf herumging. »Es mir nicht zu sagen, so lange meine Eltern noch lebten, ist die eine Sache. Aber warum hast du mir danach nie die Wahrheit gesagt? Jetzt, wo sie beide … nicht mehr da sind?« Gerne hätte sie hinzugefügt: Man fühlt sich nämlich ganz schön allein . In den zwei Jahren, in denen sie dachte, allein auf der Welt zu sein, hatte sie gelernt, dass es keine gute Idee war, sich allzu hilfsbedürftig zu zeigen. Sie wollte keinesfalls den Eindruck erwecken, dass Sergei irgendeine Verpflichtung ihr gegenüber hatte.
    Ich hätte doch lieber erst in Ruhe nachdenken sollen, bevor ich ihn anrief …
    »Liebes, genau dann wünschte ich so sehr, es dir zu sagen. Aber ich konnte nicht.«
    »Warum?«
    Sie hörte ihn seufzen. »Weil es nur selbstsüchtig von mir gewesen wäre. Ich habe so mit dir gelitten, ahnte, wie allein du dich fühlen musstest, nachdem du beide Elternteile verloren hattest. Aber woher sollte ich das Recht nehmen, in dein Leben zu stürmen und all deine Erinnerungen zu zerstören – das Kostbarste, was dir geblieben war? Und wenn du mich zurückgewiesen hättest? Dann hättest du gar nichts mehr von mir wissen wollen und deine Kindheitserinnerungen wären auch zerstört gewesen. Verstehst du mich?«
    »Nun …« Zögernd musste Amy anerkennen, dass er nicht ganz Unrecht hatte. Was wäre denn gewesen, wenn er nach dem Tod ihrer Eltern verkündet hätte, dass er ihr Vater sei? Das wäre ihr so vorgekommen, als wolle er Besitzansprüche geltend machen und gefangen im schlimmsten Kummer hätte sie ihn tatsächlich

Weitere Kostenlose Bücher