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Alle meine Schuhe

Alle meine Schuhe

Titel: Alle meine Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hepburn Lucy
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damit wehzutun, dass sie diese Briefe aufbewahrt hat.«
    »Vermutlich«, stimmte Amy zu.
    Maddy lachte leise. »Ist doch irgendwie rührend, oder? Die Liebesbriefe und die Ballettschuhe – zwei große Leidenschaften miteinander vereint.«
    »Maddy, ich glaube nicht, dass ich schon so weit bin, mir Mums große Leidenschaft mit Sergei auf irgendwie erwachsene Weise vorzustellen. Und schon gar nicht als rührend .
    Tut mir leid, aber für mich hat es etwas Betrügerisches. Es ist unfair, und ich kann es einfach nicht begreifen.«
    »Und der einzige Mensch, der dir erzählen kann, was wirklich passierte, ist Sergei, nicht wahr?«
    Amy zuckte zusammen. »Was ihn angeht, habe ich alle Brücken hinter mir abgerissen. Ich habe ihm eine Nachricht geschrieben, dass ich ihn niemals wieder sehen möchte. Zu dem Zeitpunkt habe ich noch gedacht, er hätte nur mit meiner Mutter geschlafen, du weißt schon, gelegentlich … Igitt! Weg mit diesen Bildern! Jedenfalls hätte ich nie gedacht, dass er mein … Vater sein könnte.«
    Maddy schwieg.
    »Weißt du was?«, sagte Amy schließlich.
    »Nein?«
    »Ich habe seine Augen.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja, ich habe Sergeis Augen. Justin hat immer gesagt, ich müsse ein Kuckuckskind sein, wegen meiner großen dunklen Augen. Mums Augen waren grün und die von Patrick blau. Ich dachte immer, das wäre so eine Art Generationssprung, aber in Wahrheit habe ich meine Augen jedes Mal vor mir gesehen, wenn ich mich mit Sergei in der Oper getroffen habe.«
    »Ruf ihn an, Amy.«
    »Sei nicht albern.«
    »In diesem Fall kannst du nicht davor weglaufen.«
    »Bin ich doch schon.«
    »Du bist vor etwas weggelaufen, von dem du nicht alles wusstest. Ich an deiner Stelle würde mit dem einzigen noch lebenden Menschen sprechen wollen, der mir die ganze Geschichte erzählen kann. Die anderen beiden sind nämlich tot!«
    Sie hatte es kaum ausgesprochen, da schlug sie entsetzt die Hände vor den Mund.
    »Ich kann nicht glauben, dass ich so etwas Gefühlloses sage«, murmelte sie. »Verzeih mir, Amy, es tut mir unendlich leid …«
    »Ist schon gut«, versicherte Amy, obwohl ihr Tränen in die Augen traten. Das Wort tot war so kalt und unbarmherzig. »Und du hast ja recht. Ich muss Sergei anrufen. Ich meine, ich muss … meinen Vater anrufen.«
    Vor allem will ich, dass er es sagt. Dass er sagt: »Ja, du bist meine Tochter.«
    »Mach es sofort«, flüsterte Maddy.
    »Jetzt? Es ist mitten in der Nacht und in meinem Kopf wirbelt alles durcheinander, als würde ich mir meinen eigenen Horrorfilm ansehen. Er dürfte heute von seiner letzten Tournee zurückgekehrt sein. Ich rufe ihn morgen früh an. Ich habe eine kilometerlange Liste mit Fragen an diesen Mann, dafür will ich ausgeruht sein. Außerdem sollte ich so langsam ins Motel zurück, bevor sie mich für die Nacht ausschließen.« Sie wollte sich von dem Kissen erheben.
    Aber Maddy streckte den Arm aus und hielt sie davon ab. »Das wirst du nicht tun, Amy. Du kannst hier übernachten – ich gebe dir einen von Charlottes Pyjamas. Oh doch, ich bestehe darauf. Ich habe ein viel zu selten benutztes Gästezimmer, und ich will mich nicht mit der Vorstellung herumschlagen, dass du nach einem solchen Abend in ein einsames Motelzimmer zurückkehrst!«
    »Aber …«
    »Kein aber. Du bleibst hier. So, ich werde eine warme Milch machen und damit zu Charlotte hochgehen. Ist so ein Ritual von uns. Ich nenne es neutrales Gebiet. Oft sitze ich so um Mitternacht oben auf dem Fußende von Charlottes Bett, wir trinken zusammen warme Milch, und ich finde heraus, wie ihr Tag war. Und am nächsten Morgen hat sie sich wieder in den Teenager verwandelt, der mich auf Abstand hält.«
    »Du bist eine tolle Mum, Maddy.«
    »Glaub es oder nicht, aber ich habe da oben auch großartiges Rohmaterial, um damit zu arbeiten. Und während ich bei Charlotte bin, solltest du Sergei anrufen, Amy. Ruf ihn an, jetzt. «
    Maddy ging in die Küche und ließ Amy allein zurück. Sie zog seufzend ihr Notizbuch und einen Stift aus ihrer Tasche und machte sich an die Arbeit.
    Sie dachte sehr lange nach.
     
    FRAGEN AN SERGEI
    1. Was geschah damals?
    2. Warum hast du mir nie etwas gesagt?
     
     
    Eine ganze Weile später starrte Amy auf den Zettel und seufzte wieder. Schien so, als würde ihre Fragenliste an Sergei doch nicht kilometerlang werden – und noch stand längst nicht fest, ob sie überhaupt jemals den Mut aufbringen würde, ihn anzurufen.
    Mit müdem Blick schaute sie hoch zu dem Totempfahl.

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