Alle meine Wünsche (German Edition)
diesen Schweinehund. Mit achtzehn Millionen in der Tasche ist er ausgeflogen. Verschwunden, das Vögelchen. Er hat das letzte »e« meines Vornamens abgekratzt, und plötzlich lautete der Scheck auf seinen Namen. Jocelyne ohne »e«. Jocelyn Guerbette. In vier Tagen hatte er Zeit, bis ins tiefste Brasilien zu fliegen. Nach Kanada. Amerika. Womöglich in die Schweiz. Achtzehn Millionen, das legt eine Entfernung zwischen dich und das, was du zurücklässt.
Eine verdammt große, unmöglich zu überwindende Entfernung.
Die Erinnerung an unseren Kuss, vor fünf Tagen. Ich wusste es. Es war ein letzter Kuss. Die Frauen ahnen solche Dinge immer voraus. Das ist unsere Gabe. Aber ich hatte nicht auf mich gehört. Ich hatte mit dem Feuer gespielt. Ich hatte glauben wollen, Jo und ich, das sei für immer. Ich hatte seine Zunge meine mit dieser unglaublichen Zärtlichkeit liebkosen lassen, ohne an diesem Abend zu wagen, meine Angst sprechen zu lassen.
Ich hatte geglaubt, nachdem wir die unerträgliche Traurigkeit über den Tod unserer kleinen Tochter überlebt hatten, nach den gemeinen Bieren, den Beschimpfungen, der Grausamkeit und den Verletzungen, dem brutalen, tierischen Sex seien wir unzertrennlich, vereint, Freunde geworden.
Deshalb hatte dieses Geld mich erschreckt.
Deshalb hatte ich das Unglaubliche verschwiegen. Die Hysterie zurückgehalten. Deshalb hatte ich es im Grunde nicht gewollt. Ich hatte gedacht, wenn ich ihm seinen Cayenne schenkte, würde er damit wegfahren, weit, schnell, nicht mehr wiederkommen. Wenn man die Träume der anderen verwirklicht, riskiert man, sie zu zerstören. Sein Auto musste er sich selbst kaufen. Im Namen seiner Ehre. Für seinen elenden Männerstolz.
Ich hatte mich nicht getäuscht. Ich hatte geahnt, dass dieses Geld eine Bedrohung für uns beide sein würde. Dass es Feuer war. Glühendes Chaos.
Ich wusste, bis in meine Eingeweide, dass dieses Geld zwar Gutes, aber auch Böses tun konnte.
Daisy Duck hatte recht behalten. Die Begierde zerstört alles, was ihr in den Weg kommt.
Ich dachte, meine Liebe sei ein Damm. Eine unüberwindliche Staumauer. Ich hatte nicht gewagt mir vorzustellen, Jo, mein Jo, würde mich bestehlen. Mich verraten. Mich verlassen.
Würde mein Leben zerstören.
D enn was war mein Leben eigentlich?
Eine glückliche Kindheit – bis ins Herz meiner siebzehn Jahre, bis zu Mamans Schrei und, ein Jahr später, Papas Schlaganfall und seine kindliche Begeisterung alle sechs Minuten.
Hunderte Zeichnungen, Gemälde, die die wunderbaren Tage nachzeichnen; die große Ausfahrt im Citroën DS bis zu den Schlössern der Loire, Chambord, wo ich ins Wasser gefallen bin und wo Papa und andere Männer hinterhergesprungen sind, um mich zu retten. Noch mehr Zeichnungen, Selbstporträts von Maman, auf denen sie eine hübsche Frau ist, deren Augen kein Leiden je getrübt zu haben scheint. Und ein Gemälde des großen Hauses in Valenciennes, in dem ich geboren bin, aber an das ich mich nicht mehr erinnere.
Meine Schuljahre, einfach und ruhig. Selbst der Nicht-Kuss von Fabien Derôme war eigentlich ein Segen. Er lehrte mich, dass auch die Hässlichen von den Schönsten träumen, aber dass zwischen diesen und jenen wie unüberwindliche Berge alle Hübschen der Welt stehen. Also hatte ich versucht, die Schönheit da zu suchen, wo sie sich für mich fortan verstecken konnte: in der Freundlichkeit, der Aufrichtigkeit, der Behutsamkeit, und das war Jo. Jo und seine brutale Zärtlichkeit, die mein Herz erfreute, meinen Körper umfing und mich zu seiner Frau machte. Ich war Jo immer treu, auch in den stürmischen Tagen, sogar in den Gewitternächten. Ich liebte ihn trotz ihm, trotz der Bosheit, die sein Gesicht entstellte und ihn so entsetzliche Dinge sagen ließ, als Nadège an der Schwelle meines Körpers starb; als hätte sie die Nase herausgestreckt, geschnuppert, die Welt gekostet und beschlossen, dass sie ihr nicht gefiel.
Meine beiden lebenden Kinder und unser kleiner Engel waren meine Freude und meine Wehmut; ich zittere immer noch manchmal um Romain, aber ich weiß, dass er an dem Tag, wo er verletzt wird und niemand mehr seine Wunden versorgt, hierher zurückkommen wird. In meine Arme.
Ich liebte mein Leben. Ich liebte das Leben, das Jo und ich aufgebaut hatten. Ich liebte es, wie ganz gewöhnliche Dinge in unseren Augen schön wurden. Ich liebte unser einfaches, bequemes, freundschaftliches Haus. Ich liebte unseren bescheidenen Garten und die armseligen Rispentomaten, die
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