Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
Vom Netzwerk:
des Lebens auf ihren Lippen, diese Leidenschaft, die in ihrem Herzen brannte, die Schönheit der roten Flammen und ihre geheimen Phantasmagorien würde niemand mehr kennen.
    «Hören Sie», sagte Annie. Sie hatte mit verblüffter Miene den Kopf gehoben. «Da ist jemand in Ihrem Schlafzimmer», sagte sie.
    Regine blickte auf die Tür. Die Klinke bewegte sich.
    «Erschrecken Sie nicht», sagte Fosca. «Ich bitte um Entschuldigung,aber Sie schienen mein Läuten nicht zu hören.»
    «Aber der ist ja wie der Leibhaftige!» rief Annie aus.
    «Nein», sagte Fosca. «Ich bin einfach durchs Fenster gestiegen.»
    Regine stand auf: «Ich bedaure», sagte sie, «daß das Fenster nicht geschlossen war.»
    «Ich hätte einfach die Scheiben zerschlagen.»
    Fosca lächelte, und sie lächelte auch.
    «Furchtsam sind Sie nicht», sagte sie.
    «Nein, ich habe nie Angst», sagte er. «Das ist in meinem Falle übrigens kein Verdienst.»
    Sie wies auf einen Stuhl und schenkte zwei Gläser voll.
    «Setzen Sie sich.»
    Er setzte sich. Er war an drei Stockwerken hochgeklettert, hatte dabei riskiert, den Hals zu brechen, und traf sie mit unordentlicher Frisur, glänzendem Gesicht und in einen verdrückten blaßrosa Kimono gehüllt. Er war entschieden im Vorteil.
    «Du kannst schlafen gehen, Annie», sagte sie.
    Annie beugte sich zu Regine vor und drückte ihr einen Kuß auf die Wange.
    «Wenn Sie mich brauchen, rufen Sie mich», sagte sie.
    «Ja», sagte Regine. «Und träume nur nicht schlecht.»
    Die Tür schloß sich hinter ihr.
    Regine blickte Fosca groß an. «Nun, und?» sagte sie.
    «Sie sehen ja», sagte er. «Mir entkommen Sie nicht so leicht. Wenn Sie mich nicht mehr besuchen, besuche ich Sie eben. Und wenn Sie mir Ihre Tür verschließen, so komme ich durchs Fenster herein.»
    «Sie werden mich noch zwingen, mir Gitter vor die Fenster machen zu lassen», bemerkte sie kühl.
    «Ich werde vor der Tür auf Sie warten, Ihnen auf der Straße folgen   …»
    «Und was bezwecken Sie damit?»
    «Ich werde Sie sehen», sagte er. «Und Ihre Stimme hören.» Er stand auf und trat an den Sessel heran, in den sie sich gesetzt hatte. «Ich werde Sie in meinen Händen halten», sagte er und faßte ihre Schultern dabei.
    «Sie brauchen mich nicht so stark zu drücken», sagte sie. «Der Gedanke, daß Sie sich unbeliebt machen, stört Sie wohl weiter nicht, wie?»
    «Was kann das für mich bedeuten?» Er blickte sie mitleidig an. «Bald werden Sie tot sein, und alle Ihre Gedanken werden mit Ihnen sterben.»
    Sie stand auf und zog sich etwas zurück. «In diesem Augenblick lebe ich noch.»
    «Ja», sagte er, «und ich sehe Sie.»
    «Und Sie sehen nicht, daß Sie mir lästig fallen?»
    «Ich sehe es. Ihre Augen sind schön, wenn Sie zornig sind.»
    «Meine Gefühle also zählen nicht für Sie?»
    «Sie werden die erste sein, die sie vergessen wird.»
    «Ach», rief sie ungeduldig aus. «Sie sprechen zu mir immer von der Zeit, wenn ich tot sein werde! Aber selbst wenn Sie mich in der nächsten Minute töteten, würde das nichts ändern. Ihre Gegenwart ist mir unangenehm in diesem Augenblick.»
    Er lachte: «Ich will Sie nicht töten», sagte er.
    «Das möchte ich auch hoffen.»
    Sie setzte sich, aber sie fühlte sich keineswegs sicher in seiner Gegenwart.
    «Warum lassen Sie mich im Stich?» fragte er. «Warum geben Sie sich mit diesen Eintagsfliegen ab und niemals mit mir?»
    «Was für Eintagsfliegen?»
    «Diese kleinen Menschen, die wieder verschwinden werden. Mit denen lachen Sie.»
    «Kann ich etwa mit Ihnen lachen?» fragte sie gereizt. «Sie wissen ja nichts Besseres zu tun, als mich anzustarren, ohne etwas zu sagen. Sie weigern sich zu leben. Ich liebe das Leben, verstehen Sie mich?»
    «Schade», sagte er.
    «Wieso?»
    «Es geht so schnell vorbei.»
    «Fangen Sie schon wieder an?»
    «Schon wieder. Immer wieder.»
    «Können Sie gar nicht mal von etwas anderem reden?»
    «Aber wie können Sie denn an etwas anderes denken?» fragte er. «Wie bringen Sie es fertig, zu denken, Sie hätten sich auf einer Welt häuslich eingerichtet, die Sie doch in wenigen Jahren wieder verlassen werden, nachdem Sie kaum angekommen sind?»
    «Ich wenigstens werde gelebt haben, wenn ich sterbe», sagte sie. «Sie sind schon jetzt ein Toter.»
    Er neigte den Kopf und blickte auf seine Hände.
    «Auch Beatrice meinte das», sagte er. «Ein Toter.»
    Er hob wieder den Kopf.
    «Alles in allem haben Sie recht. Warum sollten Sie an den Tod denken, da Sie ja doch

Weitere Kostenlose Bücher