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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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sterben werden? Für Sie wird es einfach sein, er kommt eines Tages von selbst. Sie werden gar nicht nötig haben, darüber nachzudenken.»
    «Und Sie?»
    «Ich?» fragte er.
    Er sah sie an. Es war ein so verzweifelter Blick, daß sie sich fürchtete vor dem, was er sagen würde. Aber er sagte nur: «Das ist etwas anderes.»
    «Wieso?» fragte sie.
    «Ich kann es nicht erklären.»
    «Sie können, wenn Sie wollen.»
    «Ich will aber nicht.»
    «Es würde mich interessieren.»
    «Nein», sagte er. «Es würde alles verändern zwischen uns.»
    «Gerade darum. Sie würden mir vielleicht weniger langweilig vorkommen.»
    Er blickte ins Feuer, seine Augen leuchteten über der großen, gebogenen Nase, dann erlosch sein Blick.
    «Nein.»
    Sie stand auf. «Na gut! Dann gehen Sie aber nach Hause, wenn Sie mir nichts Unterhaltenderes zu sagen haben.»
    Er erhob sich ebenfalls: «Wann besuchen Sie mich?»
    «Sobald Sie sich entschließen, mir Ihr Geheimnis zu verraten», sagte sie. Foscas Antlitz wurde hart: «Gut. Kommen Sie morgen.»
     
    Sie lag auf dem Eisenbett, dem schrecklichen Eisenbett mit den abblätternden Stäben; sie sah ein Stück gelber Bettdecke und den Nachttisch aus falschem Marmor, den staubigen Fliesenboden; aber nichts berührte sie mehr, weder der Ammoniakgeruch noch das Lärmen der Kinder auf der anderen Seite der Wand; alles das existierte weder nahe noch ferne von ihr. Sie bewegte sich nicht. Es gab keine Stunde mehr, keinen Tag, weder Zeit noch Ort. Draußen irgendwo war die Sauce der Hammelkeule erstarrt; irgendwo auf den Brettern wurde
‹Wie es euch gefällt›
geprobt, und niemand wußte, wo die Rosalinde geblieben war. Irgendwo richtete sich ein Mann hoch auf den Wällen auf und streckte die gebietenden Hände zu einer großen roten Sonne empor.
    «Glauben Sie wirklich an das alles?» fragte sie.
    «Es ist die Wahrheit», sagte er. Er zuckte die Achseln. «Früher schien das nicht so etwas Außergewöhnliches zu sein.»
    «Es müßte doch Leute geben, die sich an Sie erinnern.»
    «Es gibt Orte, an denen noch von mir die Rede ist. Aber nur so wie von einer alten Legende.»
    «Sie könnten sich also einfach aus dem Fenster stürzen?»
    Er wandte den Kopf und sah das Fenster an: «Ich würde dabei riskieren, mich schwer und auf lange Zeit zu verletzen. Ich bin nicht unverwundbar. Aber mein Körper findet sich immer wieder zusammen.»
    Sie reckte sich auf und sah ihn fest an: «Sie glauben wirklich, daß Sie niemals sterben werden?»
    «Selbst wenn ich sterben will», sagte er, «kann ich es einfach nicht.»
    «Ach!» sagte sie. «Wenn ich mich für unsterblich hielte!»
    «Was wäre dann?»
    «Die Welt wäre mein.»
    «Das habe ich auch gedacht», sagte er. «Aber vor langer Zeit.»
    «Warum denken Sie es nicht mehr?»
    «Sie können sich das nicht vorstellen: ich werde immer da sein, immer und ewig da.» Er senkte den Kopf in die Hände.
    Sie blickte zur Decke auf und wiederholte für sich: «Ich werde immer da sein, immer und ewig da.»
    Es gab da einen Mann, der das zu denken wagte, einen Mann, der stolz und einsam genug war, um sich unsterblich zu glauben. Ich habe mir oft gesagt: ich bin allein. Ich habe mir gesagt: nie bin ich einem Mann oder einer Frau begegnet, die meinesgleichen war. Aber niemals habe ich mir zu sagen gewagt: ich bin unsterblich.
    «Ach!» sagte sie. «Ich möchte glauben können, daß ich niemals in der Erde verfaulen werde.»
    «Es ist ein furchtbarer Fluch», sagte er. Er blickte auf sie hin: «Ich lebe und habe kein Leben. Ich werde niemals sterben und habe doch keine Zukunft. Ich bin niemand. Ich habe keine Geschichte und habe kein Gesicht.»
    «Doch», sagte sie leise, «ich sehe Sie.»
    «Sie sehen mich», sagte er.
    Er strich mit der Hand über seine Stirn.
    «Wenn man wenigstens wirklich ein absolutes Nichts sein könnte! Aber es gibt immer wieder andere Menschen auf Erden, die einen sehen. Sie sprechen, und man muß sie hören, man muß ihnen Antwort geben, man muß wieder zu leben beginnen, wenn man auch weiß, daß man nicht existiert. Und das hört niemals auf.»
    «Aber Sie existieren doch», sagte sie.
    «Ich existiere für Sie, jetzt. Aber existieren Sie?»
    «Sicherlich», sagte sie. «Und Sie auch.» Sie faßte ihn am Arm: «Fühlen Sie nicht meine Hand auf Ihrem Arm?»
    Er blickte auf ihre Hand. «Diese Hand, ja, aber was bedeutet das schon?»
    «Es ist meine Hand», sagte Regine.
    «Ihre Hand.» Er zögerte. «Sie müßten mich lieben», sagte er. «Und

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