Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
Vom Netzwerk:
Neues», sagte die Wache.
    Ich betrat den gedeckten Gang; der Fels von Carmona warnackt; kein Feuer mehr in den Gräben und kein Grashalm mehr. Sie werden alle sterben. Ich legte meine Hand auf den Stein der Zinnen, ich fühlte mich härter als Stein. Was hatte ich ihnen genommen? Zehn Jahre, ein halbes Jahrhundert. Was war denn ein Jahr? Und was ein Jahrzehnt? Sie sind alle geboren, um zu sterben, dachte ich bei mir. Ich beugte mich hinab. Auch die Genueser würden sterben, die kleinen schwarzen Ameisen, die da unten bei ihren Zelten so geschäftig waren. Aber Carmona würde niemals untergehen. Ewig würde es aufrecht trotzen im Sonnenschein mit seinen acht hohen Türmen, täglich größer und schöner; es würde die Ebene an sich bringen und ganz Toscana beherrschen. Ich schaute zu den welligen Hügelrücken hin, die den Blick begrenzten. Dahinter liegt die Welt, dachte ich, und etwas in meinem Herzen wurde weit und frei.
     
    Der Winter ging vorüber. Die Feuer in den Gräben waren lange erloschen, das Stöhnen hatte aufgehört. Der erste warme Frühlingswind trug Wolken von fadem Aasgeruch nach Carmona hinein. Ich spürte ihn mit Grauen. Ich wußte, daß die tödlichen Dünste, die aus den Gräben kamen, das Lager der Genueser verseuchten. Die Haare fielen ihnen aus, ihre Glieder schwollen, ihr Blut nahm eine violette Farbe an, und sie starben dahin. Als Carlo Malatesta mit seiner bewaffneten Macht auf der Höhe der Hügel erschien, brachen die Genueser eilig ihre Zelte ab und flohen ohne Kampf.
    Wagenladungen von Mehl, von geschlachteten Rindern und Schläuchen voll Wein folgten den Truppen des Condottiere auf dem Fuße nach. Große Feuer wurden auf den Plätzen entzündet, und Siegesgeschrei erfüllte die Stadt. An den Straßenecken sanken sich die Männer in die Arme. Caterina drückte Tankred an ihr Herz, und zum erstenmal seit vier Jahren lächelte sie wieder. Am Abend gab es ein riesiges Fest; neben Caterina sitzend, trank und lachte Malatesta wieeiner, der bald am Ende ist. Auch ich spürte die Hitze des Weins in meinen Adern glühen, und Freude war in mir; aber meine Freude glich nicht der der anderen, sie war hart und schwarz und drückte auf mein Herz wie ein Stein. Ich dachte: Jetzt fängt es erst an.
    Als das Mahl vorüber war, führte ich Malatesta in das Schatzhaus und gab ihm die vereinbarte Menge Geld.
    «Und würdet Ihr jetzt», fragte ich, «bereit sein, den Genuesern auf den Fersen zu bleiben und ihre Burgen und Städte an unseren Grenzen einzunehmen?»
    Er lächelte. «Deine Truhen sind leer», sagte er.
    «Sie werden morgen wieder voll sein.»
    Schon im Morgengrauen schickte ich Herolde durch die Stadt; bei Strafe des Todes mußte jeder Bürger mir vor Nacht alles Gold, alles Silber und alles Geschmeide abliefern, das er im Hause hatte. Ich hörte, daß viele murrten, doch wagte keiner, mir ungehorsam zu sein: bei Sonnenuntergang waren meine Truhen mit Schätzen angefüllt. Ich teilte diesen Reichtum in drei gleiche Teile. Den einen erhielt der Präfekt der Vorratslager, damit er die Kornhäuser füllte; ein anderer wurde den Tuchmachern anvertraut, damit sie sich Wolle verschafften. Vor die dritte Truhe führte ich Malatesta.
    «Wie viele Monate kann ich auf Eure Truppen rechnen?»
    Er versenkte seine Hand in schimmernde Kleinodien. «Mehrere Monate.»
    «Wie viele?» fragte ich.
    «Das hängt vom Kriegsglück ab», sagte er. «Und   –» er lächelte – «auch von meiner Laune.»
    Nachlässig ließ er die Steine durch seine Finger rinnen, ich sah ihm ungeduldig zu: jede Perle, jeder Stein war ein Korn unserer künftigen Ernten, eine Feste, die unsere Marken verteidigte, war ein Stück den Genuesern entrissenen Gebietes; ich berief Sachverständige, die die Nacht verbrachten,mein Vermögen zu schätzen, und einigte mich mit Malatesta über einen festen Sold für den Mann und den Tag. Dann ließ ich die Männer von Carmona vor dem Palast zusammenkommen und hielt ihnen folgende Rede:
    «In euren Häusern sind keine Frauen mehr, in euren Speichern fehlt Korn. Geht, erntet das Korn der Genueser und holt euch ihre Töchter ins Haus.»
    Ich fügte noch hinzu, die Heilige Jungfrau sei mir im Traum erschienen und habe mir versprochen, es werde kein Haar von meinem Haupt fallen, bis Carmona groß geworden sei wie Genua und Florenz. Die jungen Leute legten wieder die Waffen an. Sie alle hatten hohle Wangen, Ringe um die Augen, eine welke Gesichtshaut, aber wenn auch die Hungersnot ihren Leib

Weitere Kostenlose Bücher