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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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geschwächt hatte, so hatte sie andererseits ihre Seelen gehärtet; sie folgten mir, ohne zu klagen; um ihren Mut zu befeuern, zeigte ich ihnen die violett gefärbten Leichen der Genueser, die längs der Gräben lagen. Malatestas Söldner mit ihren blühenden Farben, ihren vollen Wangen und ihren breiten Schultern kamen uns wie eine Rasse von Übermenschen vor. Der Condottiere führte sie ganz nach Lust und Laune, er machte manchmal länger halt, als nötig war zur Erholung, aber ein andermal trieb er sie voran, nur weil ihm der Sinn danach stand, nachts bei Mondschein zu reiten. Anstatt sich den aufgeriebenen Genuesern dicht auf den Fersen zu halten, wollte er im Sturm das Kastell Monteferti nehmen; er sagte, er sei es leid, bislang nur auf sterbende oder tote Feinde gestoßen zu sein. Er verlor dabei einen Tag und einige Capitanos. Ich warf ihm diese Verschwendung vor.
    «Ich führe Krieg zu meinem Vergnügen», gab er hochfahrend zurück.
    Dank dem Aufschub, den wir ihnen gewährt hatten, konnten die Genueser sich einem Treffen entziehen: sie schlossen sich in Villana ein, einem befestigten Platz mit uneinnehmbarenMauern. Darauf erklärte Malatesta, daß wir unser Vorhaben aufgeben müßten. Ich bat ihn, diese eine Nacht sich noch zu gedulden. Auf der Westseite von Villana führte ein Aquädukt die Wassermengen an die Stadt heran, die unter den Mauern hindurch in einen unterirdischen Kanal flossen; kein Mensch hätte sich in diese Zuführung hinabwagen können, ohne darin zu ertrinken. Ich unterrichtete niemand von meinem Plan; ich gab nur meinen Offizieren auf, vor dem niederen Wassertor im Westen Wache zu halten; dann legte ich meine Rüstung ab und drang in den finsteren Tunnel ein. Anfangs konnte ich noch die eingeschlossene Luft einatmen, die unter der Wölbung stand, dann senkte sich die Decke, und ich sah, daß kein Zwischenraum mehr zwischen den Steinen und dem Wasser war. Ich zögerte; die Strömung war stark; wenn ich jetzt weiterginge, würde ich nicht mehr die Kraft haben, wieder ans Licht zu kommen. Und wenn der Alte gelogen hat? ging es mir durch den Sinn. Vor mir, hinter mir finstere Nacht, und nirgends etwas zu hören als das Klatschen des Wassers; wenn der Greis gelogen hatte und ich sterblich war, was machte es dann aus, ob mein Leben heute oder morgen zu Ende ging? Ich dachte: Jetzt werde ich es wissen, und ich tauchte hinab.
    Er hatte gelogen. Es dröhnte in meinem Kopf, wie ein fester Reifen lag es um meine Brust; ich würde sterben, und die Genueser würden meinen vom Wasser aufgeschwollenen Leichnam ihren Hunden vorwerfen; wie hatte ich dies Ammenmärchen nur jemals glauben können? Ich erstickte vor Wut wie durch das eisige Wasser; ich wünschte mir, daß dieser Todeskampf rasch vorbeigehen möchte; ich fand kein Ende mit Sterben. Plötzlich begriff ich, daß ich schon lange schwamm und nicht sterben würde; ich schwamm bis zum Ende des Tunnels. Es war kein Zweifel mehr möglich: ich war wirklich unsterblich. Ich hätte gerne auf Knien Gott oder dem Teufel gedankt, aber es war um mich her keineSpur ihrer Gegenwart. Ich sah nur die Sichel des Mondes, die im Himmel lag inmitten eisigen Schweigens.
    Die Stadt war verlassen. Ich drang bis zum westlichen Tor vor; ich schlich mich hinter die Wache und streckte sie mit einem Schwertschlag hin; in dem Wachhäuschen lagen zwei Soldaten und schliefen. Ich machte den ersten nieder, ehe er noch aufgewacht war, den andern nach kurzem Kampf. Ich öffnete das Tor; die Bewaffneten drangen schweigend in die Stadt ein und überwältigten ihre ganze Besatzung; im Morgengrauen merkten die Einwohner, daß ihre Herren gewechselt hatten.
    Die Hälfte der Männer wurden als Gefangene nach Carmona geführt, um dort unsere Felder zu bestellen; mit ihnen wurde ein Zug von heiratsfähigen jungen Mädchen hinweggeführt, die unsere Nachkommenschaft gewährleisten sollten. Von Villana aus beherrschten unsere Truppen die Ebene, und ohne Mühe konnten sie sich mehrerer fester Plätze bemächtigen. Ich griff als erster an unter dem Hagel der Pfeile, und meine Leute nannten mich den Unüberwindlichen.
    Ich gedachte, meinen Vorteil zu verfolgen und mich des Hafens von Rivello zu bemächtigen, einer Vasallenstadt von Genua, die unserer Stadt einen Ausgang zum Meer gesichert hätte. Aber Malatesta erklärte rücksichtslos, er habe genug vom Kämpfen, und zog sich mit seinen Truppen zurück. Ich geleitete ihn ein Stück und mußte dann heimwärts reiten; an einem Kreuzweg

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