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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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4000   Reitern zogen wir nach Höchst, das nahe bei Frankfurt gelegen ist, während andere Truppen die Pfalz bedrohten. Die erschreckten Kurfürsten leisteten den üblichen Eid, in dem sie erklären mußten, daß ihre Stimmen rein und ihre Hände sauber wären, und Karl wurde um die runde Summe von 852   000   Gulden zum Kaiser gewählt.
    An einem schönen Herbsttag zog Karl in Aachen ein. Die Kurfürsten waren ihm entgegengezogen; er empfing schweigend ihre Huldigung mit entblößtem Haupt, dann schritt der Zug durch die Tore der alten Stadt. Erst kamen die Bannerträger, die Grafen und die Herren, die Räte von Aachen mit dem weißen Stab, der Hof mit seinen Pagen und Herolden, die blanke Silbermünzen unter die Menge warfen; endlich erschienen, von Hellebardieren geleitet, die hohen Würdenträger, die Granden von Spanien, die Ritter des Goldenen Vlieses, die Fürsten und die Kurfürsten. Der Marschall von Pappenheim, der das Reichsschwert trug, ging in Küraß und Brokat dem kaiserlichen Herrn voraus.
    Am 23.   Oktober 1519 wurde die Zeremonie in dem alten Dom Karls des Großen vollzogen. Der Erzbischof von Köln fragte feierlich alle Anwesenden:
    «Wollt ihr nach dem Worte des Apostels untertan sein diesem Fürsten und Herrn?»
    Und das Volk rief voll Freude: «Fiat! Fiat!»
    Darauf wurde von der Hand des Erzbischofs die Krone auf Karls Haupt gesetzt; er bestieg den Thron Karls des Großen und nahm die Huldigung der Ritter entgegen, während das Tedeum unter der Wölbung des Doms erklang.
    «Ihnen verdanke ich, daß ich Kaiser bin», sagte Karl mit bewegter Stimme, als wir uns allein in seinem Zimmer fanden.
    «Sie verdanken es Gott», sagte ich. «Er hat mich nur geschaffen, um Ihr Diener zu sein.»
    Ich hatte ihm mein Geheimnis enthüllt; er war darüber nicht einmal sehr verwundert gewesen; er war ein zu guter Christ, um über irgendein Wunder sonderlich erstaunt zu sein: doch wenn er mir gegenüber auch nicht mehr die schüchterne Gefügigkeit seiner Kindheit hatte, so achtete er nun in mir ein Wesen, das von Gott ausgezeichnet war.
    «Er hat mir eine große Gnade damit erwiesen, daß er Sie mir zur Seite gegeben hat», sagte er. «Sie werden mir helfen, mich dessen würdig zu erweisen, nicht wahr?»
    «Ich helfe Ihnen», sagte ich.
    Seine Augen leuchteten. Seit dem Augenblick, da der Erzbischof die geweihte Krone auf sein Haupt gesetzt hatte, waren seine Züge entschiedener, seine Blicke lebhafter geworden.
    «Ich habe große Dinge vor», sagte er voll Eifer.
    «Sie werden sie ausführen», sagte ich.
    Ich wußte, daß er davon träumte, das Heilige Römische Reich wiedererstehen zu lassen; doch die ganze Welt vielmehr wollte ich ihm ja in die Hände spielen. Cortés war dabei, für uns Amerika zu erobern, und bald würde das Gold nach Spanien herüberfließen; dann wären wir in der Lage, unermeßliche Armeen aufzustellen. War der Staatenbund von Deutschland erst Wirklichkeit geworden, so würden wir Italien und Frankreich unterwerfen.
    «Eines Tages», sagte ich, «wird uns das Weltall gehören.»
    Er sah mich an mit etwas wie Furcht: «Noch niemals hat ein Mensch das Universum besessen.»
    «Die Zeit war noch nicht gekommen.»
    Er stand einen Augenblick schweigend da, und plötzlich lächelte er. Hinter der Wand des Kabinetts hörte man den Ton einer Viola erklingen.
    «Kommen Sie nicht mit, die Musik anzuhören?»
    «Gleich», sagte ich.
    Er erhob sich. «Es wird ein sehr schönes Konzert. Sie sollten kommen», sagte er.
    Er machte die Tür zum Nebenraum auf. Er war jung, er war Kaiser, Gott breitete über ihn seinen schützenden Schatten aus, und das Glück der Welt wurde in seinem Herzen eins mit seinem eigenen Glück: jetzt konnte er sich in Frieden dem Klang der Viola hingeben. Aber in meiner Brust gingen die Fluten zu hoch; ich konnte nichts hören als jene triumphierende Stimme, die niemals in den Ohren eines Menschen würde ertönen können. Es war meine eigene Stimme, und sie sagte zu mir: Die Welt gehört mir für immer, sie gehört mir allein; sie ist mein Reich, das niemand mit mir teilen wird. Karl wird einige Jahre regieren, aber vor mir liegt die Ewigkeit. Ich trat an das Fenster und sah zum Himmel auf, über den die Milchstraße lief: Millionen und Abermillionen von Sternen. Und unter meinen Füßen eine einzige Erde: meine Erde. Sie schwebte ganz rund im Äther, blau, gelb und grün gefleckt; so sah ich sie vor mir. Schiffe schwammen über die Meere, Straßen zeichneten ihre Bahn

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