Alle Menschen sind sterblich
ungerechter Willkür. Ich werde über die Welt als guter Wirtschafter herrschen so wie vor Jahrhunderten über die Speicher von Carmona. Nichts wird den Launen der Menschen mehr anheimgestellt sein, nichts den Zufällen des Geschicks. Vernunft wird die Welt regieren: meine Vernunft. Wenn der Abend zu sinken begann, kehrte ich langsam ins Schloß zurück; Stimmen, Gelächter und das Klappern der Bierkrüge drang aus den Schenken heraus; unter dem grauen Himmel, unter diesen Menschen, die eine fremde Sprache redeten, unbekannt, vergessen von Maximilian sogar, glaubte ich manchmal von neuem geboren zu sein.
Ich beugte mich über das Ruhebett, auf dem Karl lag. Sein Großvater Ferdinand war gestorben, und ein paar Monate zuvor war Karl zum König von Spanien gesalbt. Aber seine Untertanen verhehlten nicht ihre Vorliebe für seinen jüngeren Bruder, der in ihrem Land geboren und aufgewachsen war.
«Majestät», sagte ich. «Sie können nicht länger Ihre Reise aufschieben. Sie setzen Ihre Krone aufs Spiel.»
Er antwortete nicht. Er war ernstlich krank: die Ärzte behaupteten, sein Leben sei in Gefahr.
«Die Partei Ihres Bruders ist mächtig. Wir müssen schleunigst handeln.»
Voller Ungeduld blickte ich auf diesen großen, bleichen Jüngling, der mit halboffenem Mund und ausdrucksloser Miene zuhörte; unter den schweren Augenlidern schienen die Augen tot, und die Unterlippe hing herab.
«Haben Sie Angst?» fragte ich.
Endlich bewegten sich seine Lippen: «Ja», sagte er. «Ich habe Angst.»
Seine Stimme war ernst. Ich war aufs tiefste bestürzt.
«Mein Vater ist in Spanien gestorben», sagte er. «Und die Ärzte haben gesagt, das Klima sei gefährlich für mich.»
«Ein König darf sich durch Gefahr nicht abhalten lassen.»
Mit seiner langsamen Stimme, ein wenig stotternd, sagte er: «Mein Bruder würde ein sehr guter König sein.»
Einen Augenblick lang dachte ich schweigend nach. Starb Karl, so war nichts verloren. Sein Bruder war jung genug, um in meinen Händen ein gefügiges Werkzeug zu werden; doch wenn der Erzherzog am Leben blieb und Spanien verlor, so würde die Welt in zwei Hälften zerfallen, und meine Pläne wären dahin.
«Sie sind es aber, den Gott erlesen hat», sagte ich mit Nachdruck. «Ich habe Ihnen schon oft gesagt, was er von Ihnen erwartet: daß die in Stücke zerbrochene Welt wieder eins werde wie an dem Tag, da sie aus seinen Händen hervorgegangen ist. Wenn Sie Spanien Ihrem Bruder Ferdinand überlassen, so verewigen Sie die Spaltungen, die die Erde zerreißen.»
Er preßte die Lippen zusammen; Schweißperlen liefen ihm über die Stirn.
«Ich kann ihm das Ganze lassen.»
Ich sah ihn an. Er war schwächlich und von langsamem Geist; doch gerade dies sein gehemmtes Wesen kam meinen Zwecken zugute; Ferdinand kannte ich nicht.
«Nein», sagte ich. «Ihr Bruder ist Spanier. Er wird allein die Interessen Spaniens im Auge haben. Sie nur können den Auftrag erfüllen, den Ihnen Gott gegeben hat: Ihnen ist aufgegeben, das Heil der Welt zu erringen. Ihre Gesundheit, Ihr Glück fallen dabei nicht ins Gewicht.»
Ich hatte es richtig getroffen. Er wurde noch bleicher als vorher.
«Das Heil der Welt», sagte er. «Das ist ein großes Wort. Es wird zuviel für mich sein.»
«Nicht, wenn Gott Ihnen hilft.»
Er senkte den Kopf in die Hände, ich ließ ihn beten. Er war ein Kind: er liebte Bewegung in freier Luft, Turniere und Musik; er ahnte, welche Last ich ihm auf die Schultern legen wollte. Er betete lange, dann sagte er: «Gottes Wille geschehe.»
Einige Tage darauf ließ sich Karl mit seinem ganzen Hofstaat in den Dünen nieder. Eine Flotte von 40 Segeln stand im Hafen von Vlissingen und wartete seit Wochen bereits auf günstigen Wind; sobald er sich erhob, schifften wir uns nach Spanien ein. An die Schiffsverschanzung gelehnt, sah ich Tag für Tag die Sonne auf- und untergehen. Vor mir lag nicht nur Spanien. Dort hinter dem Horizont gab es Wälder, in denen vielfarbige Papageien auf den Zweigen schaukelten, Tauben, deren Nahrung großblütige Blumen waren, es gab Vulkane, die schäumendes Gold aus ihren Kratern spien, und über unendliche Wiesengelände jagten auf ihren Pferden federngeschmückte Menschen dahin. Der König von Spanien war Herr dieser Wildnisparadiese. «Eines Tages», sagte ich, «werde ich sie mit eigenen Augen sehen, und ich werde sie nach meinem Sinne formen.»
Am 19. September kam die Küste Asturiens in Sicht. Das Ufer lag verlassen da, am Abhang eines
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