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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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über die Kontinente. Ich aber würde mit einer Handbewegung undurchdringliche Urwälder roden, Sümpfe trockenlegen, den Lauf der Ströme regulieren; der Boden bedeckte sich mit Äckern und Weideplätzen, blühende Städte entstanden da, wo die großen Straßen sich kreuzten. Die bescheidensten Weber wohnten in großen, hellen Häusern, dieSpeicher waren bis obenhin mit Weizen angefüllt. Alle Menschen waren reich, stark und schön, und alle waren glücklich. Ich dachte: Ich werde das irdische Paradies wiedererstehen lassen.
     
    Sanft glitt die Hand des Kaisers Karl über den Mantel aus Federn in allen Farben des Regenbogens. Er liebte reiche Stoffe und kostbare Metalle. Als die Schiffsleute den Koffer öffneten und große Alabastergefäße voller Türkise und Amethyste auf den Boden stellten, leuchteten seine Augen. Voller Entzücken rief er aus:
    «Was ist das für ein Reichtum!»
    Er betrachtete die Münzen und Barren von Gold, die in den Truhen aufgehäuft lagen; aber ich wußte, daß er nicht diese Schätze meinte; durch die grauen Mauern seines Brüsseler Palastes hindurch sah er einen Strahl von flüssigem Gold zum blauen Himmel aufschießen, er sah an den Hängen des Vulkans rötliche Lava kochend niederströmen, er sah ungeheure Prachtstraßen, mit rotem Gold gepflastert, und Gärten mit goldenen Bäumen bepflanzt. Ich mußte lächeln. Durch das Blitzen von tausend kleinen Sonnen hindurch sah auch ich etwas: Galeonen mit Barren beladen an der Reede von Sanlúcar; mit vollen Händen warfen wir einen funkelnden Konfettiregen auf den alten Erdteil   …
    «Wie können Sie zögern?» sagte ich.
    Karls Hand löste sich von dem vielfarbig schimmernden Gewebe. «Diese Menschen haben eine Seele», sagte er.
    Mit langsamen Schritten durchmaß er die lange Galerie; er hatte den Brief in sein Wams geschoben, den ihm der Schiffskapitän mit den gespaltenen Lippen übergeben hatte: Hernando Cortés’ Brief. Am Karfreitag des letzten Jahres war Cortés an einer menschenleeren Küste vor Anker gegangen und hatte dort eine Stadt gegründet, welcher er den Namen Vera Cruz verlieh. Um seine Leute an der Rückkehrnach Spanien zu hindern, hatte er seine Karavellen in den Grund bohren lassen, mit Ausnahme einer einzigen, die er Karl geschickt hatte, beladen mit den Schätzen des Aztekenkaisers Montezuma. Er erbat Hilfe gegen das Ränkespiel des Gouverneurs Velázquez, der die Fortsetzung seiner Expedition zu unterbinden gedachte. Karl aber zögerte.
    Ich sah ihm ungeduldig zu. Die Briefe der Dominikaner von Hispania, die Berichte des Paters Las Casas hatten seine Seele mit zweifelnder Unruhe angefüllt; wir hatten erfahren, daß entgegen dem Gesetz die Indianer wie Sklaven behandelt, geschlagen und umgebracht würden; zu wenig widerstandsfähig für die Arbeiten, die man von ihnen verlangte, starben sie zu Tausenden. Ich selber machte mir keine Gedanken über das Schicksal dieser in Vorstellungen tiefsten Aberglaubens befangenen Wilden.
    «Schicken Sie zuverlässige Männer hin, die über die Einhaltung der Gesetze wachen.»
    «Wer ist zuverlässig auf eine solche Entfernung?»
    Er schritt wieder an dem Tisch entlang, der beladen war mit kristallenen Schalen, Halsketten aus Jade und kleinen Figürchen aus ziseliertem Gold.
    «Die guten Väter», sagte ich, «übertreiben sicher. Immer wird übertrieben.»
    «Es würde schon genügen, wenn auch nur eine einzige der Tatsachen, die sie berichten, auf Wahrheit beruhte   …»
    «Die Schwarzen Afrikas haben keine Seele», sagte ich.
    «Das Heilmittel scheint mir kaum weniger abscheulich als das Übel», bemerkte der Kaiser dazu.
    Er schaute die verführerischen Barren nicht mehr an, er schaute gar nichts mehr an. Sein Gesicht hatte wieder jenen nichtssagenden und wie eingeschlafenen Ausdruck seiner frühen Jugend.
    «Was wollen Sie dann tun?» fragte ich.
    «Ich weiß es eben nicht.»
    «Sie wollen sich ein Reich entgehen lassen, das mit Gold gepflastert ist?»
    Ich senkte die Hand in die Truhe und ließ die einzelnen Stücke durch meine Finger rieseln.
    Dumpf wiederholte er: «Ich weiß es eben nicht.»
    Er sah sehr jung und sehr unglücklich aus.
    «Sie haben kein Recht dazu», sagte ich mit Bestimmtheit. «Gott hat diese Schätze geschaffen, damit sie dem Menschen dienen. Es gibt dort fruchtbaren Boden, der niemals bestellt werden wird, wenn wir ihn den Indianern nicht nehmen. Denken Sie an das Elend Ihrer Völker: sie werden wohlhabend sein, sobald Amerikas Gold in Ihre

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