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Alle Menschen sind sterblich

Alle Menschen sind sterblich

Titel: Alle Menschen sind sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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Berges erkannte ich einen Zug von Menschen: Kinder, Frauen, Greise schritten hinter mit Bündeln beladenen Mauleseln einher, sie sahenwie Flüchtlinge aus. Plötzlich kam eine Salve aus einem Gebüsch. Die Damen des Hofes schrien auf, und die Matrosen griffen nach ihren Gewehren. In Karls Antlitz rührte sich nichts; schweigend betrachtete er dies Land, das sein Königreich war; er wunderte sich nicht über den rauhen Empfang; nicht das Glück suchte er hier. Noch einmal gingen die Musketen los; ich rief mit aller Macht:
    «Spanien! Dies ist dein König!»
    Die ganze Mannschaft wiederholte den Ruf, und ich bemerkte eine Bewegung in den Gebüschen, die sich bis zum Meere hinunterzogen; ein Mann kam kriechend näher. Offenbar erkannte er auf den großen Bannern des Königs das Wappen von Kastilien, denn er richtete sich auf, bewegte sein Gewehr und rief: «Spanien! Es lebe der König!»
    Bald kamen hinter den Büschen und Felsen die Bergbewohner hervor und riefen: «Es lebe Don Carlos!»
    Später sagten sie uns, daß sie beim Anblick der großen Zahl von Schiffen einen Einfall der Barbaren gefürchtet hätten.
    Wir kamen nach Villaviciosa. Nichts war vorbereitet für unseren Empfang, und die meisten der Herren und die Damen sogar mußten auf Strohschütte schlafen. Gleich am frühen Morgen zogen wir wieder weiter. Der König ritt auf einem kleinen Pferd, das ihm der englische Gesandte verschafft hatte; seine Schwester Eleonore hielt sich an seiner Seite. Die Damen des Gefolges fuhren auf Ochsenwagen. Viele Edelleute gingen zu Fuß. Der Weg war steinig, und wir kamen nur mühsam voran unter der mitleidlos strahlenden Sonne. Niemand war auf Plätzen, Landstraßen oder Feldern: eine Seuche wütete in dieser Gegend, und es war den Leuten bei Strafe untersagt, ihren Ort zu verlassen. Karl hingegen schien unempfindlich gegen die Sonnenhitze und die dürftige Landschaft: er gab kein Zeichen von Ungeduld oder trüber Stimmung. Entgegen der Voraussicht der Ärzte schiendas Klima von Spanien seine Gesundheit zu kräftigen. Vielleicht war es das Staunen, doch noch am Leben zu sein, das auf dem Grund seiner Augen einen Schimmer erstehen ließ, den ich noch nicht kannte. An dem Tag, als er in Valladolid seinen feierlichen Einzug hielt, lächelte er:
    «In diesem Land werde ich mich wohl fühlen», sagte er.
    Nach einigen Wochen schien er aufzublühen; er nahm an den Festen und Turnieren teil, und oft sah ich ihn mit jungen Leuten seines Alters lachen. Mit Freude stellte ich fest: Er lebt, und er ist König! Die erste Partie ist gewonnen! Sobald ich die Nachricht von Maximilians Tod erhielt, kehrte ich eilig nach Deutschland zurück. Denn jetzt ging es um das Kaisertum.
    Während der ersten Jahre seiner Regierung hatte Maximilian den Kurfürsten reichlich Geld und Versprechungen zukommen lassen; er glaubte sich der Stimmen von fünfen unter ihnen fest versichert zu haben. Aber gleich nach seinem Tode waren die Kurfürsten trotz 600   000   Dukaten, die er an sie ausgegeben hatte, der Meinung, daß alles von vorn anfinge. Franz   I., König von Frankreich, trat sofort auf den Plan und schwor, daß er nötigenfalls drei Millionen opfern würde, um Kaiser zu werden. Karl war arm, doch jenseits der Meere gehörten ihm Goldadern, Silberminen, fruchtbare Ländereien. Ich ging zu den Antwerpener Bankiers und brachte sie dazu, Wechsel auszustellen, die durch die überseeischen Schätze gedeckt waren. Dann eilte ich nach Augsburg. Von Fugger gelang es mir, Wechsel zu erhalten, die erst nach der Wahl eingelöst werden mußten. Ich schickte Boten aus, die meine Anerbietungen den Kurfürsten überbrachten; ich selber suchte sie alle auf; ich ging nach Köln, nach Trier, nach Mainz. Alle Augenblicke kamen Abgesandte von Franz oder vom König von England mit neuen Angeboten, die die Kurfürsten voller Gleichmut in ihren Büchern notierten. Franz zahlte klingende Taler; der Kurfürstvon Brandenburg, der von Trier und der von Köln ließen sich bereits ködern. Eines Tages erfuhr ich, daß Franz dem Erzbischof 20   000   Gulden bot und den Gesandtenposten für Deutschland; am Abend reiste ich zu einer Unterredung mit Franz von Sickingen ab, der die Armee des mächtigen Schwäbischen Bundes befehligte; ich galoppierte ohne Aufenthalt; die Zeit, die einst so unbeweglich ruhte in jenem blauen Stundenglas, raste nun unter den Hufen meines Pferdes dahin.
    Franz von Sickingen haßte Frankreich. An der Spitze eines Heeres von 20   000   Mann und

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