Alle Menschen werden Schwestern
beeinflußt das allgemeine Verständnis zentraler Begriffe der Aidsdiskussion wie »Sexualität«, »Trieb«, »Treue«, »Aufklärung«, »Ansteckung«, »Diskriminierung«
a) das Denken und Handeln von Frauen und
b) das von Gesundheitspolitikerinnen auf Frauen bezogene Handeln?
3 Reden Frauen über Aids anders als Männer?
Über die Frage »Zwangstests für alle, Meldepflicht für Infizierte — ja oder nein?« streiten öffentlich eine Frau und ein Mann, Bundesgesundheitsministerin Süssmuth und Staatssekretär Gauweiler. Süssmuth setzt auf Aufklärung und lehnt staatlichen Zwang ab; Gauweiler hält Aufklärung nicht für ausreichend und will staatliche Maßnahmen durchsetzen.
Süssmuth und Gauweiler vertreten nicht nur entgegengesetzte Standpunkte, sondern sie benutzen auch ein sehr unterschiedliches Vokabular. Gehört das zum Thema? Ja und nein — es argumentieren auch viele Frauen ähnlich wie Gauweiler und viele Männer ähnlich wie Süssmuth — , aber insgesamt habe ich doch den Eindruck, daß mehr Männer wie Gauweiler reden und mehr Frauen wie Süssmuth. Auch die in Ach, wär’s doch nur ein böser Traum abgedruckten Stellungnahmen von Frauen zeigen in ihrer Betonung der Verantwortung und Fürsorge für die Kranken deutlich, daß — wie die US-amerikanische Psychologin Carol Gilligan herausgefunden hat — Frauen ethische Probleme anders angehen als Männer. Sie verlassen sich »nicht auf die männliche Gerechtigkeitsmathematik [...], wenn sie vor moralischen Konflikten stehen. Anstatt Rechtsansprüche gegeneinander abzuwägen, wollen sie vor allem vermeiden, andere zu verletzen oder Bindungen zu zerstören.« 84
Besonders, was Feministinnen zum Thema Aids zu sagen haben (»Wohin mit dem Ding?«), klingt völlig anders als das, was Männern dazu einfällt.
Nachdem sie, wie die meisten Frauen, lange abwartend geschwiegen haben, konzentrierten sie sich zunächst auf den Aspekt »Entmachtung des Phallus« (Heide Soltau, Februar 1987) 85 :
Der Phallus kann in Zukunft nicht mehr frei zirkulieren, er darf nur noch verpackt in Aktion treten [...] [Der Mann,] der seine Macht wesentlich über sein Geschlecht bezog, kann in Zukunft diesen Teil seines Körpers nur noch hinter Gummi präsentieren. Eine Kränkung und eine Bedrohung für jeden Mann. 86
Letzter Stand der feministischen Aufklärung (August 1987): Die Kampagne Rita Süssmuths wird um einen zentralen Aspekt ergänzt, der der Gesundheitsministerin bisher entgangen zu sein scheint. Der alles beherrschenden Kondom-Propaganda (»Ich liebe mit«) hält Emma in einer ironischen »Anzeigen-Aktion« entgegen: »Ich liebe ohne« — gemeint ist: ohne Mann.
Keine Anzeige.
Ich liebe ohne.
Männer sind kein Schicksal. Denn gegen Männer können wir uns schützen. Auch ohne Kondome.
Immer mehr Frauen und Frauen benutzen sie nicht. Um ganz sicher zu sein, haben sie für immer die Seite gewechselt. Denn nur diese Konsequenz schaltet das Risiko, sich mit Aids zu infizieren, hundertprozentig aus.
Angela M. F. Räderscheidt, 34 Jahre, Künstlerin: »Vor allem wir kreativen Frauen mittleren Alters sollten uns vor Männern schützen, wo immer sich die Gelegenheit bietet. Der genußvolle Umgang mit Frauen gehört zu meinem Alltag wie das Reiten auf dem Besen.«
Eine von vielen Frauen, die sich der Verantwortung — sich selbst gegenüber und Frauen, die sie liebt — bewußt ist, ist die Künstlerin Angela Räderscheidt. Dies ist eine Gemeinschaftsaktion der Zeitschrift Emma und der Bundesgesundheitsministerin.
[Unter der Abbildung eines Kondoms:] Kondome. Nicht die einzige Lebensversicherung gegen Aids. 87
4 Die zentralen Begriffe der Aidsdiskussion:
Ihre unterschiedliche Bedeutung für Frauen und Männer
Es heißt immer, daß Aids alle anginge. Sicher. Aber ebenso sicher geht Aids Frauen in ganz anderer Weise an als Männer. Und diese Tatsache wird fast nie berücksichtigt. Deshalb ja eben dieses (= Melitta Walters) Buch. Es sollte — eigentlich — auch klar sein, daß Sexualität für Frauen etwas ganz anderes bedeutet als für Männer, aber gegen diese Erkenntnis hat das Patriarchat massive Barrieren errichtet.
Daß Sexualität und Aids und daher auch Aufklärung über beides Frauen in anderer Weise betrifft als Männer, liegt in der Natur der »Sache«: Männer können keine Kinder bekommen und sind deshalb von den Folgen der (Hetero-)Sexualität viel weniger betroffen als Frauen. Aids wird überwiegend durch Sperma übertragen — und Frauen
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