Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle Menschen werden Schwestern

Alle Menschen werden Schwestern

Titel: Alle Menschen werden Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise F. Pusch
Vom Netzwerk:
vermutlich an den Bordellbesitzer oder Zuhälter abzuliefern sind)? Nein, Meienbergs Einfühlung für diese von seinesgleichen Erniedrigten und Ausgebeuteten reicht nur zu einem zynischen »Vergelt’s Gott«:

    Hier stoßen wir sofort auf Martine, die triefäugige Hur, welche an der Hinterfront des Crédit Lyonnais auf den Strich geht. Sie ist abgetakelt und mußte ihren Preis auf 30 Francs senken, Hotel inbegriffen, um im Geschäft bleiben zu können. Martine stöckelt regelmäßig hinüber bis zur Rue Pavée, streicht dem alten Gemäuer entlang, wo unter der Monarchie das Hurengefängnis war [...]. Sie trägt einen Hut aus den frühen dreißiger Jahren. Tu viens, chéri? Der Patron der Bucheron-Bar sagt von der hochbetagten Martine: Spare in der Zeit, so hast du in der Not. Vielleicht kommt an einem Herbstabend der König von Sizilien, Arm in Arm mit Mackie Messer, und belohnt seine treue Untertanin Martine, welche seit 1927 in Wind und Regen ausharrt. Gott macht’s ihr einmal wett. (Frkr. 17)

    Würde Meienberg über einen seiner verehrten Citroën-Arbeiter nach 45 Jahren »Ausharren«/Ausbeutung auch sagen: »Gott mach’s ihm einmal wett«?
    »Seine Sprache schafft eine neue Stufe der Beteiligung«, soll die Süddeutsche Zeitung über Meienberg herausgefunden haben. Nun ja — auch die Süddeutsche wird von Männern gemacht. Die »neue Stufe der Beteiligung« besteht bei dieser Probe seines Schaffens vielleicht darin, mit welchem Kennerblick die Billigstware Martine (30 Francs, Hotel inbegriffen) begutachtet und dem männlichen Verbraucher vorgeführt wird — wahrlich, auch sie verspricht keinen ungetrübten Genuß: Triefäugig stöckelt, nein: streicht, die hochbetagte Abgetakelte dem Gemäuer entlang — brr! So was könnte höchstens den notorischen Frauenschänder & Mörder Mackie Messer noch reizen, der war bekanntlich nicht wählerisch und wird’s ihr schon lohnen und ihr zu einem »standesgemäßen« Abgang verhelfen. Aber der verwöhntere männliche Geschmack hat’s nicht leicht — wegen dieser unverschämten Preise:

    So wie hier soll es bald in anderen Quartieren aussehen. Teure Kinos (14 Francs), teure Cafés (Express 2.60), teure Pelzmantelhuren in den Nebenstraßen (300 Francs). (Frkr. 208)

    Damals kam man abends geil wie ein Bock aus dem Büro zu den andern Büromännern in die Straßen und wollte noch etwas erleben auf die Nacht, die Reklamen geilten uns wahnsinnig auf, aber die Frauen auf den Reklamen würde man niemals haben. [...] Einen 40-Dollar-a-week-boy from Switzerland wollten die prächtigen, blitzgebissigen, deodorierten girlies mit den wattierten brassières (abgekürzt bra) nicht haben. [...] Und auch die meisten andern Büromänner kamen mir vereinsamt vor, aber immer geil und traurig wie arme Seelen die Straßen auf und ab zappelnd. Am Times Square billige Huren, aber schon zu teuer, und Trefzger hatte gesagt, dort gibt es Tripper im Fall. (Tats. 201)

    Ob der bedauernswerte geile 40-Dollar-a-week-boy from Switzerland wohl mit den »billigen, aber schon zu teuren« Tripper-Huren vom Times Square hätte tauschen wollen? Oder mit den »prächtigen, blitzgebissigen, deodorierten girlies mit den wattierten brassières (abgekürzt bra)«?
    Eine Lust, ihn zu zitieren, diesen »Sprachmächtigen« [Laure Wyss], schreibt er doch »so, wie Brueghel malt« [François Gross, La Liberté]. Geil, echt! Ein paar fremdländische Sprachbrocken (von wegen dem Kolorit), eine zielsicher ausgewählte Einzelheit, seien es nun die Triefaugen oder das blitzende Gebiß, verdichtet zu einem Adjektiv - und schon steht die Frau, ob triefäugige Tu viens, chéri? oder blitzgebissiges girlie, unvergeßlich prägnant vor unserem geistigen Auge. Und erst diese kühne Metaphorik: wie er das Niedrigste mit dem Erhabensten detailfreudig kopuliert...

    ...und die Macht hielt dieses Straßendasein nicht aus und hat sich, weil niemand anders sie packte, wieder ihrem de Gaulle ins Bettchen gelegt, ihre Beinchen dem alten Steinbeißer und Halodri geöffnet, weil der mit der verhutzelten Hur etwas anzufangen wußte. (Frkr. 49)

    ...und so dem Erhabenen gekonnt einen überbrät!

Schnauz, Lächeln, Ehefrau: alles ist noch da.

    Wie sich das Niedrigste dabei fühlt, wenn es zur Verhohnepipelung der Herrschenden gleich mit in die Pfanne gehauen wird, ist nicht so wichtig; die verhutzelte Hur opfert sich bestimmt gern dem guten Zweck, genau wie die andern unschuldigen Opfer dieser Meienbergschen Häme-Technik, zum

Weitere Kostenlose Bücher