Alle müssen sterben - Thriller (German Edition)
Niemandsland vor dem Gestrüpp endet und auch kein Weg unter die Betonsäule führt.“ Der Mann legte den Kopf schief und kratzte sich an der Stirn. „Es tut mir leid, aber ich kann mich einfach nicht mehr daran erinnern! Es ging ja auch alles so schnell“, seufzte er.
„Ist schon in Ordnung“, beruhigte Braun den Mann und schaltete sein Handy ab.
„Kommst du mal, Braun!“ Freimann, der Leiter der Spurensicherung, klopfte ihm auf die Schulter. Von seinem weißen Papieroverall perlte das Wasser und sammelte sich in den Falten des Gummizugs an den Knöcheln zu kleinen Seen, die er von Zeit zu Zeit ausschüttelte. Freimann schwenkte eine durchsichtige Plastiktüte mit grau-schwarzen Haaren vor Brauns Gesicht hin und her.
„Diese Haare haben wir noch gerettet, bevor der Regen alles weggeschwemmt hat. Wir haben sie auf der Hose der Leiche entdeckt“, sagte er.
„Haare?“ Braun wischte sich mit einer Hand den Regen aus dem Gesicht. „Können die vom Mörder stammen?“
„Das sind Tierhaare, Braun! Keine Ahnung, von welchem Tier sie stammen, aber es handelt sich definitiv nicht um menschliches Haar.“
„Okay, du schickst die Analyse zu Chiara“, sagte Braun.
„Geht klar, Braun. Da ist noch etwas.“ Freimann wies auf das Zelt, unter dem der Tatort verborgen wurde.
„Das Seil, mit dem das Kreuz aufgerichtet wurde, war professionell verknotet.“
„Was soll das heißen?“, fragte Braun und schlug den Kragen seiner gelben Gummijacke hoch, die ihm ein Polizist zugeworfen hatte.
„Ich zeige es dir! Dann wirst du verstehen, was ich meine.“ Freimann winkte ihn zu sich und leuchtete mit seiner Taschenlampe auf den Strick, der durch einen eisernen Haken im Betonpfeiler gezogen und am oberen Ende des Kreuzes verknotet war.
„Es ist ein dreifacher Palstek-Knoten, wie ihn Segler verwenden. Ist für einen Profi einfach zu knoten und hält starke Belastungen aus, ohne sich zu lösen. Der Mörder hat zunächst die Hebelwirkung des Hakens genützt, um das Kreuz ohne besondere Kraftanstrengung hochzuhieven, dann hat er es mit dem Knoten fixiert.“
„Unser Täter könnte also ein Segler sein“, überlegte Braun. „Das würde auch zum ersten Mord passen, der war auf einem Segelboot.“
„Sag ich doch, Braun!“ Freimann klopfte Braun auf die Schulter, gab dann seinen Leuten Anweisungen und bückte sich unter eine Plane.
Braun sah nach hinten zu dem bronzenen Porsche, wo Elena Kafka gerade telefonierte. Neben ihr stand Ritter, der Oberstaatsanwalt, in seinem obligaten grauen Dreiteiler unter einem großen Schirm und blickte mit sorgenvoller Miene zu Braun.
Wahrscheinlich sieht er schon die morgigen Schlagzeilen: „Der Flammenkiller hat wieder zugeschlagen“, dachte Braun. Aber das war nicht sein Problem, damit musste sich Oberstaatsanwalt Ritter herumschlagen.
In diesem Moment tauchte auch der schwarze PT-Cruiser von Paul Adrian auf und der Gerichtsmediziner rannte in seinem bodenlangen schwarzen Ledermantel durch den Regen, im Schlepptau seine Assistentin Anthea.
„Hallo, Braun. Sieht auf den ersten Blick nach unserem Flammenkiller aus!“, sagte er, nachdem er einen Blick auf die Leiche geworfen hatte. „Ich lasse dir den Vortritt, bevor ich mit meinen Untersuchungen beginne“, sagte er, während Anthea Fotos von der Leiche schoss.
Gebückt kroch auch Braun unter das Plastikzelt, kniete sich dann im Morast auf eine Platte der Spurensicherung vor die Leiche, atmete tief diesen intensiven Gestank nach verbranntem Fleisch, Blut und Tod ein. Nachdenklich studierte er den verbrannten Mann. Das Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit verschmort und sah aus wie eine Fratze aus einem billigen Horrorfilm. Auch große Teile des Oberkörpers waren verbrannt, doch an den relativ unversehrten Beinen sah er lange Kratzspuren, eingetrocknetes Blut und das unverwechselbare Tag-Tattoo. Ein kurzer Film lief in seinem Kopf ab: ein Sprayer, der sich wie verrückt seinen rasierten Schädel aufkratzt, so lange kratzt, bis ihm das Blut über das Gesicht läuft. Nun wusste er, wen er vor sich hatte: Jonas Blau war seinem Dämon begegnet und dieser hatte ihn in die Hölle geschickt.
39. Ein Opfer wird gefilmt
Das Zimmer war vom Boden bis zur Decke blendend weiß und auf den ersten Blick bemerkte man die zugezogenen weißen Vorhänge vor dem großen Fenster nicht einmal. Der einzige Farbtupfer waren die roten Rosen in einer weißen Designervase, die gerade aufgeblüht waren und in dem kargen Raum prächtig
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