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Alle muessen sterben

Alle muessen sterben

Titel: Alle muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B. C. Schiller
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doch es war nur der Schatten eines Baumes im Regen. Schade, denn er hätte sie gerne gesehen, dieses Mädchen, das genauso einsam war wie er. Er war alleine, alleine in seinem verwunschenen Schloss, alleine mit seinen Gedanken, alleine mit seinen Ängsten.
    Immer diese Ängste.
    Jawohl, er hatte Angst. Angst, dass seine Vergangenheit von der Polizei breitgetreten werden würde. Der Todesfall in Tallinn, sein Gefängnisaufenthalt, die Presse würde sich auf ihn stürzen. Mit dem DNA-Vergleich würde die Polizei die ganze Wahrheit herausfinden: Er hieß eigentlich Igor Smirnov und hatte nie Modedesign studiert. Sein Lügengebilde würde wie ein Kartenhaus zusammenstürzen. Für die Presse war er ein Freak, der böse Zwerg aus dem Märchen, über den man sich mit einem wohligen Gruseln lustig machen konnte, der aus einer enttäuschten Liebe wieder zum Mörder geworden war.
    Das Telefonat mit Inspektor Dominik Gruber war beschämend gewesen. Gruber hatte er ja bei seinem Besuch im Grunde sympathisch gefunden, im Gegensatz zu dessen Vorgesetzten Braun, der ein aggressiver Prolet war. Aber dieser Inspektor Gruber hatte ihn enttäuscht, den in dem Telefonat war nichts mehr übrig geblieben von seiner feinen Art, im Gegenteil, Gruber hatte ihn mit einer harten, gehetzt klingenden Stimme mit belastenden Indizien konfrontiert und ständig unter Druck gesetzt.
    Natürlich hatte er herausgefunden, dass sich Dimitri mit Tim in einem Lokal in Gmunden gestritten hatte, dass Tim handgreiflich geworden war, weil er Angst gehabt hatte. Als Dimitri ihn nach dem Grund für diese Angst gefragt hatte, war Tim aggressiv geworden, hatte immer nur „Das ist eine alte Geschichte!“ geschrien und Dimitri eine Ohrfeige verpasst, als dieser ihn fürsorglich in den Arm nehmen wollte. Das war dann auch das Ende gewesen. Tim war aus dem Lokal gestürmt und hatte Dimitri zurückgelassen, alleine, am Rand eines emotionellen Abgrunds.
    Doch Gruber hatte auch noch einen anderen Zeugen aufgetrieben, der Dimitri auf der Promenade gesehen hatte, kurz bevor der Mord passiert war. Natürlich war das richtig, das hatte Dimitri auch widerstrebend zugegeben, wohl wissend, dass er sich dadurch nur noch verdächtiger machen würde.
    „Warum haben Sie uns angelogen?“, hatte Gruber dann auch sofort nachgehakt. „Sie haben ausgesagt, dass Sie die ganze Zeit in Ihrem Atelier waren. Der Zeuge kann sich nicht getäuscht haben, denn Sie sind eine auffällige Erscheinung!“
    Er wollte einfach keine Schwierigkeiten bekommen, das war eine lahme Ausrede, das wusste er selbst und er spürte, dass sich die Schlinge enger um seinen Hals zusammenzog. Hätte er zugeben sollen, dass er in dem Lokal ein Gespräch belauscht hatte, in dem Tim sich um Mitternacht im Yachthafen mit jemandem verabredete? Hätte er das sagen sollen? Aber wer hätte ihm schon geglaubt. Einem Freak, der fünf Jahre im Gefängnis gesessen hatte und sich die Taille krankhaft eng schnürte. Niemand hätte ihm geglaubt, im Gegenteil. Man hätte Eifersucht als Mordmotiv ins Spiel gebracht. Deshalb hatte er geschwiegen.
    Die Musik von Purcell näherte sich einem feierlichen Höhepunkt und mit feuchten Augen summte Dimitri die Melodie mit, drehte sich dabei wie eine Primaballerina vor dem großen Spiegel, doch es wollte sich keine Ekstase einstellen, es blieb nur eine gnadenlose Leere. Als die Musik zu Ende war, hörte Dimitri das Blut in seinen Schläfen pochen und mit den Fingerspitzen tippte er auf die senkrechten Eisenstäbe, die aus dem Blech des Mieders ragten und deren Gefährlichkeit ihn früher so erregt hatte. Immer wieder tippte er dann mit seinen Handflächen auf die scharf gefeilten Spitzen, drückte immer stärker darauf, sodass sich auf seiner weißen Haut rote Abdrücke bildeten.
    Mit einem lauten Seufzen löste er die Schnürung des Mieders, zog langsam und andächtig das rote Band aus den Ösen, bis er das Mieder abnehmen konnte. Er spürte, wie sich seine Taille ausbreitete und schlaffe Haut über den Bund seiner schwarzen Hose quoll. Niemals würde er die 43 Zentimeter Idealmaß erreichen, das sah er jetzt ganz klar. Ohne Taille war er nur ein dicklicher Zwerg, ein unnützes Leben, ein Mann, der schon bei Tagesanbruch von der Polizei verhaftet werden würde, als mutmaßlicher Mörder seines Geliebten.
    Nachdenklich zog Dimitri die eisernen Stäbe aus dem Mieder, legte sie exakt ausgerichtet auf den Boden, setzte sich im Lotussitz davor, so als würde er meditieren. Doch plötzlich

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