Alle muessen sterben
Schule abgebrochen und dann hauptsächlich als Stricher gearbeitet. Wurde von der Sitte aufgegriffen und von der Fürsorge in ein Heim gesteckt. Hat dort eine Maltherapie begonnen und ist so zum Sprayer geworden. Als Sprayer hat er einige Verwaltungsstrafen wegen Vandalismus aufgebrummt bekommen, sie aber alle nicht bezahlt.“ Sie scrollte weiter durch die Datenbanken. „Er wurde auch im Zusammenhang mit einem ungeklärten Todesfall von vor zwei Jahren vernommen.“
„Todesfall, was für ein Todesfall?“ Braun beugte sich zu Chiara hinunter und starrte auf den Bildschirm.
„Vor zwei Jahren ist eine obdachlose Sprayerin in einer Unterführung verbrannt. Man nahm an, dass es sich um einen Unfall gehandelt hat. Zuvor wurde sie ein paar Mal mit Jonas Blau gesehen, deshalb wurde er auch vernommen. Es kam aber nichts dabei heraus.“
„Der Fall ist also abgeschlossen?“, fragte Braun.
„Es gab nie einen Fall, es war einfach ein ungeklärter Unfall. So steht es jedenfalls in den Akten.“ Chiara scrollte durch die Datei. „Soll ich noch weiter recherchieren?“
„Nein, lass mal. Mach das später. Zunächst holen wir uns Jonas Blau in der Kickbox-Halle. Besorge mir einen Plan von dem ganzen Areal und schicke diesen bitte auf mein Handy.“ Braun blickte sich suchend um. „Hat irgendjemand Gruber gesehen?“, fragte er in die Runde.
„Ich versuche, Dominik schon den ganzen Morgen zu erreichen“, meldete sich Chiara kleinlaut. „Hoffentlich ist ihm nichts passiert.“
„Ich kann mich jetzt nicht auch noch um Gruber kümmern!“, schnaubte Braun wütend.
„Was ist mit Ihrem Kollegen eigentlich los?“, hörte er plötzlich die Stimme von Elena Kafka hinter sich.
„Gut, dass Sie hier sind, Elena!“ Braun ging nicht näher auf Elena Kafkas Frage ein. „Wir wissen jetzt, wo sich dieser Jonas Blau aufhält.“
„Worauf warten wir also noch, Braun?“ Elena Kafka sah Braun auffordernd an.
„Sie wollen mich doch nicht etwa begleiten, Elena?“ Braun runzelte die Stirn. „Dieser Einsatz könnte verdammt gefährlich werden. Jonas Blau ist unberechenbar.“
„Sparen Sie sich Ihre Belehrungen, Braun.“ Elena Kafka schnappte ihre Tasche und verschwand bereits in Richtung Foyer. „Let’s do it!“
Mit verkniffener Miene folgte ihr Braun, dem die Situation nicht sonderlich zusagte. Die Ausbuchtung an Elena Kafkas Jacke deutete darauf hin, dass sie im Bund ihrer Jeans eine Pistole trug. Das war für eine Polizeipräsidentin mehr als ungewöhnlich.
30. Der alte Mann im Rollstuhl
„Wenn Mutter tot ist, dann ist er schuld daran“, hatte ihr das Mädchen immer wieder zugeflüstert, so lange, bis Chloe selbst daran glaubte. Deshalb war sie mit Rufus auch durch die schmale Pforte zurück in die Villa gegangen und hatte geduldig gewartet, bis alle das Haus verlassen hatten.
Alle bis auf einen. Dieser eine konnte das Haus nicht mehr alleine verlassen, er konnte weder sprechen noch sich bewegen und seine Glieder hatte er auch nicht mehr unter Kontrolle. Er war auf Rundumpflege angewiesen, so wie Chloe auch darauf angewiesen gewesen wäre, wenn Mutter noch leben würde. Aber Mutter war tot.
Im oberen Stockwerk der Villa wohnte die Pflegerin, die aber das Haus verlassen hatte, um Nachschub an Medikamenten aus der Apotheke zu holen. Chloe war ganz alleine mit ihm. Das große Haus war leer und gespenstisch still. Nur das Scharren der spitzen Krallen von Rufus war zu hören, den sie mitgenommen hatte. Sie wusste, dass er Tiere hasste, seit sein Dackel verschwunden war, und niemals in der Lage wäre, das Fell eines Tieres zu streicheln. Nun aber war er ihnen ausgeliefert.
Vorsichtig öffnete sie die Tür zum großen Salon und sah ihn mit dem Rücken zu ihr verkrümmt in seinem Rollstuhl sitzen und in das Feuer starren. Doch das Scharren der Pfoten von Rufus musste er gehört haben, denn ein Zittern ging durch seinen schiefen Körper.
Aber Zoltan Zorn war nicht einmal fähig, den Rollstuhl zu drehen, so sehr hatten die Schlaganfälle seinen Körper zu einem leblosen und nutzlosen Gehäuse gemacht, in dem nur noch sein Herz schlug und die Gedanken auf Reisen gingen.
Chloe stand direkt hinter ihm und atmete tief durch. Sie blies ihm ihren Atem sanft in den Nacken und sah das Zittern seiner verkümmerten Halsmuskeln, die diesen feinen Luftzug gespürt hatten. Jetzt wünschte sie, dass sie das Sprechen nicht vergessen hätte, dass sie eine eigene Sprache hätte, in der sie mit ihm reden könnte.
Aber auch er
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