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Alle muessen sterben

Alle muessen sterben

Titel: Alle muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B. C. Schiller
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aufhören konnten, ständig in seinen Fingern umherzuschwirren, ihn mit ihrem Gift zu stechen, das so höllisch brannte und sich nur mit Kratzen betäuben ließ.
    „Fuck! Fuck!“ Dazu verdrehte er seinen Kopf, rollte mit den Augen und wand sich unter Muskelkrämpfen. Er zuckte noch ein- oder zweimal, dann war auch dieser Anfall vorüber und Jonas lag heftig atmend am Rücken auf dem Boden des Lokals.
    „Okay!“, keuchte er. „Ich mache den Graffitijob. Bei wem muss ich mich melden?“
    „Melde dich bei Eko. Er ist der Trainer der Kickboxer. Sag ihm einfach, Bülat hätte dich geschickt.“
    Das Papa-Gesicht von Bülat nahm einen verträumten Ausdruck an, als er zu erzählen begann. „Eko war früher Stuntman. Er hat Günel Izmir in ,Die Brücken von Istanbul‘ gedoubelt. Der Sprung mit dem Motorrad von der Galatabrücke in den Bosporus, das war Eko!“
    „Und jetzt ist er Kickbox-Trainer! Das nenne ich eine Karriere!“ Wieder kratzte sich Jonas ein Furunkel in seinem Gesicht blutig.
    „Er ist von einem Dach gefallen! Das war bei dem Dreh von ,Gangster im Topkapi‘. Hat sich das Bein schlimm gebrochen und alles Geld ist für die Operationen draufgegangen. Als man dahinterkam, dass er auf Jungen steht, wurde ihm auch die Invaliditätspension gestrichen. Dann ist er nach Österreich ausgewandert und in Linz hängen geblieben.“ Bülat strich sich über seine schimmernde Glatze. „Er ist ein feiner Kerl, aber das Schicksal hat Eko übel mitgespielt.“
    „Das Schicksal, das Schicksal!“, äffte ihn Jonas nach und kratzte sich ein weiteres Geschwür unter seinem verfilzten Bart auf. „Jeder hat das Schicksal, das er verdient!“
    „Meinst du, und was ist mit dir? Hast du diesen Dämon verdient? Schau dich doch an, was die Krankheit aus dir gemacht hat! Du warst ein so hübscher Junge, mit dem man gerne ins Bett gegangen ist.“ Bülat griff Jonas zwischen die Beine, zog seine Hand aber schnell wieder zurück, als Jonas nervös zu zucken begann.
    „Und was bist du jetzt? Ein obdachloser Sprayer mit einer abstoßenden Krankheit, einem Dämon, der immer stärker von dir Besitz ergreift!“
    „Dieser Dämon!“, geiferte Jonas. „Dieser Dämon verlässt mich eines Tages auch wieder, dann bin ich geheilt!“
    „Dieser Dämon wird dich nie verlassen“, erwiderte Bülat bedächtig. „Ich frage dich noch einmal: Hast du diesen Dämon verdient, Jonas?“
    „Oh ja!“, flüsterte Jonas und sein Blick wurde verhangen und er flog weit weg, zurück in eine grausame Vergangenheit.
    „Oh ja, ich habe diesen Dämon verdient!“

28. Die Einsamkeit des Sterbens

    Die Schatten der Vergangenheit lassen sich nicht abschütteln. Man kann falsche Fährten legen, jahrelang verschwinden und an einem anderen geheimen Ort wieder auftauchen, aber sofort sind sie wieder da, die Erinnerungen, Akten und Protokolle, die schwarz auf weiß beweisen, dass man zum Kreis der Verdächtigen gehört.
    Dimitri di Romanow stand in seinem Atelier vor dem großen Spiegel und zurrte das Metallmieder so eng zusammen, dass ihm für einen Augenblick die Luft wegblieb und er befürchtete, in Ohnmacht zu fallen. Doch anders als sonst bereitete ihm das Schnüren keinen Lustgewinn, im Gegenteil, je fester er das Mieder um seine Taille zusammenzog, desto deprimierter war er. Die Gedanken rasten durch seinen Kopf, die Stimme des Polizisten am Telefon wollte einfach nicht verschwinden, immer wieder hörte er die aggressiven Vorwürfe:
    „Sie sind unser Hauptverdächtiger! Wir werden Sie schon noch kriegen, ein DNA-Vergleich ist immer eindeutig. Tim Kreuzer hat sich sogar Ihren Vornamen auf die Hand tätowieren lassen! DIMI – das ist doch die Koseform von Dimitri. Stimmt das?!“
    Natürlich hatte er es zugegeben, denn wozu noch leugnen. Die Zukunft mit Tim hätte so schön sein können. Ja, vielleicht hätte er Tim retten können, wenn er tatsächlich mit dem Boot hinaus auf den See gefahren wäre. Aber er hatte das Boot bloß ins Wasser geschoben, hatte gezaudert und gezögert, um dann wieder unverrichteter Dinge in sein Atelier zu gehen, in seine Klause, denn Dimitri fühlte sich einsam wie ein Eremit.
    Die Stimme des Countertenors aus seiner Stereoanlage, der eine Arie von Henry Purcell mit einer noch nie gehörten Inbrunst sang, drang Dimitri bis ins Herz und seine Stimmung verdüsterte sich noch mehr. Suchend starrte er aus einem der Schießscharten-Fenster in den Skulpturen-Park, bildete sich ein, das Waldmädchen am Ufer stehen zu sehen,

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