Alle Orte, die man knicken kann
wegen der in indischer Eigenarbeit konstruierten Satelliten. Selbst der Hotelchef, der Maharaja persönlich, sieht nichts. Für seine Gäste legt er deshalb Schachspiele und Zeitschriften aus und hat die Wände mit familiären Beweisfotos aus kolonialer Zeit dekoriert. Er pflegt eine Oldtimersammlung, stellt seinen Gästen jedoch nur von Kamelen gezogene Karren zur Verfügung, mit denen die sturztrockene Landschaft durchzuckelt werden kann. Es gibt aber auch Liegestühle. Das Hotel wirkt beruhigend englisch, besonders wenn man die Augen schließt. Im Hof läutet ein nachgebauter Big Ben.
Jodhpur. 140 km weiter nordwestlich wird es sandig. Jodhpur dorrt in einer Sandwüste namens Thar, wenigstens in einem Teil, in dem noch dürftige Büsche wachsen. Die Wüste wurde geschaffen von Menschen, die noch ganz im Einklang mit der Natur lebten,von Nomaden, die in der Überweidung ihr Glück suchten. Jetzt dient die Thar als Themenpark für touristische Kamelsafaris und bei Nacht zur Beobachtung des Sternenhimmels, Letzteres stets mit dem Hinweis auf die indischen Raumsonden, zu denen außer Sichtkontakt jegliche Verbindung verloren ging. Die Fassaden der Häuser in Jodhpur sind blau gestrichen. Einheimische erklären es mit der Priesterkaste, die vor fünfhundert Jahren ihre Häuser in Indigo zu streichen begann. Diese Tradition gibt es auch in anderen Städten. Hier jedoch machten es alle nach – vorgeblich auch, um den Karawanen aus der Ferne ein Zeichen zu geben. Das Fort Meherangarh, die großspurige Festungsanlage auf dem Tafelberg über der Stadt, die als Einzige als Leuchtturm in Frage käme, ist indes genauso elend ockerfarben wie der Berg und die Wüste. Wer sich hinaufbemüht, bekommt hinter dem Tor einige Wandmalereien und sandsteinerne Geländer zu sehen, ferner einen Marmorsitz, der als antikes Klo durchgeht, jedoch als Thron diente, obendrein eine goldene Sänfte und eine staubige Waffenkammer sowie ein paar Glasfenster. Besonders stolz sind die Guides auf das Tor, vor allem auf die Handabdrücke von dreißig Herrscherfrauen, sogenannten Maharanis. Jede einzelne ist ihrem geliebten königlichen Ehemann in den Tod gefolgt, voller Enthusiasmus und dermaßen freiwillig, dass lediglich in 29 der 30 Fälle die Diener nachhelfen mussten. Diener helfen auch heute noch, diesmal entkräfteten Bustouristen, die mit gestauchtem Rückgrat im einzigen klimatisierten Hotel Zuflucht suchen: dem Umaid Bhawan Palace, dem umgewandelten Wohnsitz eines verarmten Maharadschas, der gegen Aufpreis bei Nacht in einem Seitenflügel spukt und zu singen versucht. Jodhpur selbst, eine Millionenstadt, ist unmusikalisch laut und sehenswert dreckig und zwischen elf und sechzehn Uhr auch noch tonofenheiß. Am erträglichen Vormittag werden die Touristen im Gänsemarsch über den Markt geführt, damit siegefälschten Goldschmuck, nachgemachte Kosmetika und Elfenbeinarmreife aus Plastik kaufen. Die meisten ziehen das Angebot zur Flucht in die Wüste vor. Doch auch das ist Fake. Die Kamele, auf denen die sogenannten Safaris unternommen werden, sind räudig, alt und ranzig. Unbequem sind sie sowieso. Der Schaukelgang geht zwei Stunden durch eine sandige Ebene mit staubigem Grün zu einem wrackigen Rasthof und wieder zurück. Der Tourismusbehörde ist aufgefallen, dass nahezu alle Rajasthan-Reisenden, egal aus welcher Richtung, in Jodhpur nachzurechnen beginnen, wie lange sie noch bleiben müssen.
Jaisalmer. Die tausendjährige Karawanenstadt liegt 270 km nordwestlich von Jodhpur von noch mehr Wüste, Sand und Steinen umgeben. Sie ist klein und zurückgeblieben und gleicht anderen Wüstenstädten des Orients auch darin, dass die Trinkwasserversorgung mittelalterlich und ungenügend ist und dass stattdessen die Abwässer unter den Gebäuden hervorquellen und die Fundamente untergraben. Wer auf der Reise noch nicht krank geworden ist, wird es gewöhnlich hier. Jaisalmer ist ein Kaff und bemüht sich kraftlos, die Attraktionen Jodhpurs nachzuahmen: Kamelritt im Konvoi, begleitet von Wasserverkäufern und Imbissanbietern, gern zum Sonnenuntergang mit anschließendem Blick in den Sternenhimmel und auf die abermals stumm vorbeiziehenden indischen Satelliten. Die Stadt ist über das Fort kaum hinausgewachsen. Die Mauern umschließen Shops mit Lederwaren und T-Shirts , in denen jede Führung unfehlbar endet. Der abgetakelte Palast, wiederum mit Museum, sollte vor Jahren restauriert werden, doch die Unesco-Gelder sind auf dem langen Weg
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