Alle Orte, die man knicken kann
fünftausend Quadratmetern. Das Reich seiner Demenz beginnt gleich hinter den Wänden des Museums, zu dem der größte Teil des Palastes umgewidmet wurde. Ein anderer Teil, die ehemaligen Gästehäuser namens Shiv Niwas und Fateh Prakash, sind zu einem Hotel zusammengelegt worden und zählen jetzt zur Heritage-Kette, die nicht komfortabel, aber authentisch sein möchte. Die Palastfassaden spiegeln sich abends fotogen in einem See namens Pichola. In der Mitte des Sees schwimmt ein aus der Form geratenes weißes Fahrgastschiff, das sich nicht bewegt, denn es ist aus Stein. Von Land aus schwer erreichbar, diente dieser Lake Palace in früheren Jahrhunderten als Aufenthaltsort der durch Inzucht irre gewordenen Herrschersprösslinge. Das hat sich kaum geändert, denn heute ist der Bau ein Luxushotel. In die dahinter aufragenden Aravalli-Berge zogen sich diejenigen Geistesgestörten zurück, die schwimmen konnten. Sie gründeten ein Bergvolk, das als wild und unzurechnungsfähig gilt. Einen Überblick über fast alles bekommt man, wenn man sich zum Monsoon-Palast hinaufbemüht; der Palast ist uninteressant, die Aussicht auf die festungsartig aufragende Stadt dagegen prächtig. Hier oben ist man auch sicher vor der gespenstischen Reihung von Nippesläden in der Altstadt. Niemand hat sie bislang durchqueren können, ohne in wenigstens drei Shops gelockt, geschoben oder geschubst zu werden. Die Enttäuschungder Händler, wenn nichts gekauft wird, ist abgründig und von Flüchen begleitet; den Kaufverweigerer erwartet eine Wiedergeburt als Kanalreiniger. Angenehm entfernt und erholsam liegt der Lustgarten Sahelion-ki-Bari, der mit Teichen, Türmchen und steinernen Zwergelefanten einem mitteleuropäischen Zoo oder botanischen Garten ähnelt. Nur dass hier mehr Inder unterwegs sind. Zwanzig Kilometer nördlich dämmert der Shivatempel von Eklingji, der seinen Ruhm allein der Tatsache verdankt, dass der Palastgreis, der sogenannte Maharana, zum Beten hierher gekarrt wird, und zwar an sturmfreien Montagabenden. An anderen Tagen und außerhalb der abenteuerlichen Öffnungszeiten (4 : 15 – 6 : 45 und 17 : 15 – 18 : 45 Uhr) tut es auch irgendein anderer der hundert Tempelchen, etwa der drei Kilometer entfernte, mit erotischen Figuren geschmückte Saas Bahu bei Nagda. Muss aber auch nicht sein. Denn genau betrachtet, ist jedes Auto für sich ein Tempel; denn jedes enthält einen kleinen Altar mit Statuetten, Kettchen und Heiligenbildern, bunt und blinkend. Der Reisebus ebenfalls. Westliche Besucher, die sich auf Spiritualität freuten, fallen hier vom Glauben ab.
Ranakpur. Neunzig Kilometer nördlich von Udaipur, immer noch in den Aravalli-Bergen, steht die größte Tempelanlage der Jains. Das sind die Frommen, denen alles Leben heilig ist. Sie fegen den Weg vor ihren Füßen, auf dass kein Wurm oder Käfer ihretwegen dahinscheide. Sie tragen einen Mundschutz, vor allem in insektenreichen Gegenden, damit sie nicht zufällig einen Moskito einatmen und durch Schlucken töten. Sie essen vegetarisch, meiden aber Kartoffeln und Wurzelgemüse, weil es durch die Ernte zwangsläufig stürbe. Und um noch weniger Schaden anzurichten, üben sie sitzende Tätigkeiten aus, gern als Kaufleute und Banker. In vollkommener Unschuld sind sie zur finanziellen Oberschicht aufgestiegen. Das sieht man dem tausendjährigenTempel an. Von weitem fallen glänzende Dachtürme und Kuppeln auf, von nahem der pastellfarbene Marmor, von innen die Säulen, von denen es angeblich 1440 verschiedene gibt. Wer jede einmal berührt – aber keine zweimal –, wird erleuchtet. Die Touristen haben dafür selten Zeit; ihr Bus muss weiter. So verfallen sie in eiliges Schreiten, durchwandern in beschleunigter Feierlichkeit Hallen und Pavillons und schnattern einander scharenweise zu, wie still es hier ist.
Deogarh. Hundert Kilometer nördlich von Ranakpur, nun schon in den Ausläufern der Aravalli-Berge, grüßt abermals ein Palast. Kleinmütige Studienreisende hoffen, es möge der letzte sein. Zu ihrer Erleichterung ist dieser Devgarh Mahal museumsfrei zum Hotel umgewandelt worden; man erkennt es an den Bussen, die sich aus allen Richtungen treffen. Die Touristen grüßen einander mit höflicher Säuernis. Man wollte eigentlich ausschließlich authentische Inder sehen. Doch die sind in dem kleinen Städtchen in Trübsal versunken, weil es hier ernsthafte Schwierigkeiten mit dem Fernsehempfang gibt, trotz oder vielleicht
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