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Alle Orte, die man knicken kann

Alle Orte, die man knicken kann

Titel: Alle Orte, die man knicken kann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Bittrich
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das zweite bei Shanghai). Dies hier reicht. Zwar ist das Areal fast einen Kilometer lang und über siebenhundert Meter breit, doch fünfzig Millionen ausländische Besucher pro Jahr füllen es mühelos, belegen jeden Bau, jeden Hof, jeden Gang, jedes «Halle der Harmonie» genannte Klo. Angeblich gibt es neunhundert Gebäude, doch da müssen Besenkammern und Schuhschränke mitgezählt worden sein. Die Erläuterungen des Fremdenführers, welche Hofschranze unter welchem Dach nistete, langweilen schnell. Vollends einschläfernd ist der Besuch des Palastmuseums mit einer endlosen Folge von Tuschezeichnungen, Wandbehängen, Kalligraphien, Emaille, Lack und Jade. Die Phantasie wird allenfalls angeregt vom Thronsaal und von den Wohnungen der auserwählten Frauen. Sie erhängten sich, wenn ihr Gebieter gestorben war (bei manchen war Hilfestellung nötig) – ein Brauch, derauf Chinas Weg zurück zur Ursprünglichkeit wieder eingeführt werden soll.
    Platz des Himmlischen Friedens.  Auf diesem Platz vor dem südlichen Palasttor parkten einst Jim und Lukas arglos ihre Lokomotive, um mit dem Kaiser von China zu sprechen. Heute sind Lokomotiven und private Fahrzeuge nicht mehr willkommen, nur Panzer. Der windgefegte
Tian’anmen
, zwei Kilometer lang, anderthalb Kilometer breit, gilt als größter gepflasterter Truppenübungsplatz der Welt. Er ist außerdem Ort der weltweit größten, rund um die Uhr aufrechterhaltenen Versammlung geheimer Staatspolizisten. Sie fallen durch extreme Unauffälligkeit auf. Von einem ungetarnten Sonderkommando bewacht, wird hingegen das klotzige
Mao-Mausoleum
: die Gedenkhalle für einen der bedeutendsten Massenmörder des vergangenen Jahrhunderts. Die perfekte Nachbildung seines Leichnams in Wachs wird besuchenden Provinzlern als Beweis heiliger Unverweslichkeit verkauft. Es gibt auf dem Platz außerdem noch eine Säule zum Gedenken an die erfolgreichsten Heckenschützen der Revolution und links und rechts flankierend je ein Geschichtsmuseum (Eintritt Pflicht) und eine Halle des Volkes (Eintritt verboten). Man kann sich auf dem Platz fotografieren lassen und Souvenirs kaufen: Mützen, T-Shirts , Anhänger, Modellautos, Olympia-Maskottchen, Aquarelle auf Reispapier und Ohrenschützer gegen das Geleier der Fremdenführer.
    Große Mauer.  Um 1905 besuchte einer der ersten amerikanischen Touristen die Große Mauer: Seth Wheeler, der Erfinder der Klopapierrolle und weiterer hundert Volltreffer. In Amerika war Wheeler zunächst verspottet worden und hatte geantwortet: «Für die einen ist es eine Rolle Klopapier, für die anderen die wohl längste Papierserviette der Welt.» Als er das Land der Papiererfindung besuchte, führte man ihn auch an die Mauer. Wheelers Kommentar: «Für die einen mag es ein Bauwunder sein, für dieanderen der wohl längste Wachturm der Welt.» Hört sich nach Selbstzitat an, trifft aber die Sache: Die Mauer ist ein auf sechstausend Kilometer ausgewalzter Wehrgang. Dass beim Bau mehr als eine Million Sträflinge und Sklavenarbeiter starben, macht sie in chinesischen Augen zum Superding. Einer der gruseligsten Abschnitte – siebzig Kilometer nördlich von Peking bei Badaling – gehört zwingend zum Touristenprogramm. Hier werden die Fotos gemacht. Etwas östlich bei Mutianyu gibt es noch ein weiteres zur Besichtigung freigegebenes Stück; hier fällt der Massenansturm etwas geringer aus. Bei Simatai, schon hundertzwanzig Kilometer vor Peking, ist es ruhiger und die Aussicht am besten. Das Gehen auf der Mauer ist in jedem Fall mühsam, an ebenen Abschnitten wegen des Gedränges, an steilen wegen des alpinen Gefälles. Am Fuß der Mauer ist Vorankommen unmöglich: wegen der unzähligen Verkaufsstände und fliegenden Souvenirhändler. «Wir waren auf der chinesischen Mauer!» Toll! Einen anderen Grund, sich diesen Tort anzutun, gibt es nicht.
    Ming-Gräber.  Die Mauer gilt als Chinas größtes und längstes Massengrab. Edlere und kürzere Einzelgräber finden sich auf dem Weg dorthin: Eine Busstunde nördlich von Peking genießen Kaisergräber in einem waldigen Tal den Schutz der Unesco. Die dreizehn Mausoleen (chinesisch
Shisanling
) enthalten den noblen Moder der Ming-Dynastie. Ming? Genau. Das waren die mit dem Porzellan und den Vasen. Wenn am Anfang eines Krimis erwähnt wird, dass diese zerbrechliche Ming-Vase im Haus des Millionärs auf keinen Fall kaputtgehen darf, wird sie wenig später auf dem Kopf eines Schurken zerschmettert. Solche Vasen und weitere nützliche

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