Alle Rache Will Ewigkeit
das Risiko eingegangen, die Briefe zu fälschen, um die Polizei auf das Motiv zu stoßen.« Jay schüttelte den Kopf. »Aber wenn er ebenfalls daran beteiligt war, hätte er doch niemals ihre Geschäfte gefährdet. Ihr Motiv ist also nichtig. Warum hätten sie ihn dann umbringen wollen?«
Magda war perplex, nicht zuletzt deshalb, weil sie selbst nicht darauf gekommen war. Sie galt doch als klug. Wirkte sich die Liebe so auf einen aus? Stumpfte sie den Intellekt ab? »Ich weiß nicht. Vielleicht hatten sie es auf seinen Anteil des Unternehmens abgesehen.«
»Dann hätten sie ihn vor der Hochzeit umbringen müssen, denn danach stand es außer Frage, dass sein Anteil an niemand anderen als dich gehen würde.« Jay fuhr sich erregt durch die Haare. »Herrgott noch mal, Magda. Das ist ja ein Alptraum.«
»Ich begreife nicht, wieso sich dadurch etwas ändert. Sie haben ihn umgebracht, Jay. Das ist eine Tatsache. Sie haben sich im entscheidenden Moment vom Fest weggeschlichen. Ich habe sie gesehen, nur ein paar Meter von der Stelle entfernt, wo Philip starb.«
»Aber das ist nicht das, was du vor Gericht ausgesagt hast, oder? Du hast nicht die ganze Wahrheit darüber gesagt, wo du sie gesehen hast, weil du verschleiern musstest, wo du selbst warst. Du warst mit mir zusammen, nicht im Büro deiner Mutter.«
»Aber niemand weiß das. Die Verteidigung hat nie versucht, meine Geschichte in Zweifel zu ziehen. Es ist Schnee von gestern, Jay.«
Jay sah alles andere als überzeugt aus. »Es ist nicht vorbei. Die Strafmaßverkündung kommt noch, die Berufung. Wenn herauskommt, was Philip getrieben hat, sind sie nicht mehr diejenigen, die ein Motiv hatten, Magda. Sondern das wären dann wir.«
Magda war bestürzt darüber, wie sehr Jay sich aufregte. Hätte sie im Voraus darüber nachgedacht, dann hätte sie erwartet, dass Jay ausrasten würde. Aber stattdessen war sie in ihr gewohntes Verhalten gegenüber Patienten verfallen, und sie hatte reagiert, als habe sie es mit einem Elternteil zu tun, dem sie eine schreckliche Diagnose übermitteln musste. Magda legte den Arm um Jays Schultern, und die Anspannung, die sie in deren Muskeln spürte, schockierte sie. »Aber wir sind doch sicher. Ich gebe dir ein Alibi.«
»Und das macht mich zu deinem Alibi.« Jay stieß ein freudloses Lachen aus. »Und du meinst nicht, dass das manchen Leuten zu denken geben wird? Wir tun uns nach einem geheimen Rendezvous während deiner Hochzeit zusammen?«
»So war es nicht«, protestierte Magda. »Und das weißt du auch.«
»Wir wissen das, aber die Welt da draußen wird es vielleicht nicht so sehen. Wir treffen uns insgeheim, dein Mann wird ermordet und lässt dich als sehr reiche Witwe zurück. Und da trete ich auf und erobere dein Herz im Sturm.«
»Das ist verrückt. Du brauchst doch das Geld nicht, Herrgott noch mal. Du hast doch viel mehr als ich, Millionen!«
Jay wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. »Für manche Leute gibt es das Wort ›genug‹ gar nicht. Verlass dich drauf, Magda, es wäre nicht schwer, es so hinzustellen, dass wir wirklich in einem sehr ungünstigen Licht erscheinen, wenn das jemals rauskommen sollte.«
»Na, aber es wird nicht rauskommen, oder? Selbst wenn – und das ist sehr unwahrscheinlich – irgendjemand herausfindet, was Philip getan hat, wird man nicht herausfinden, dass du die Briefe gefälscht hast.«
Jay lehnte sich an ihre Freundin. »Vielleicht nicht«, sagte sie matt. »Aber eines hast du nicht bedacht.«
»Was denn?«
»Ohne Motiv kann man sich nur schwer vorstellen, dass Joanna und Paul Philip umgebracht haben. Und wenn sie ihn nicht getötet haben … wer war’s dann, Magda? Wer?«
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Teil drei
1
Freitag
J ay blieb diese Nacht als die erste in Erinnerung, in der sie zusammen waren, aber nicht miteinander schliefen. Das in der Sauna begonnene Gespräch hatte sich den Rest des Abends im Kreis gedreht.
Immer wieder waren sie zum gleichen schrecklichen Punkt zurückgekommen, an dem sie ihrer Entscheidung ins Auge sehen mussten; der Entscheidung, die Polizei auf die Personen hinzuweisen, in denen sie unzweifelhaft Philips Mörder gesehen hatten. Immer wieder kamen sie auf den Nachmittag zurück, als sie miteinander im Bett gelegen und darüber gesprochen hatten, dass die Polizei mit der Aufklärung von Philips Ermordung nicht vorankam.
Jay, die ihre Agatha Christie kannte, hatte damals vom Martyrium der Unschuldigen gesprochen, dem Makel, der Magda immer anhaften würde,
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