Alle Rache Will Ewigkeit
so wirkte, als verberge sich viel überflüssiges Fett unter seinem Cutaway, hatte er das fröhliche, rundliche Gesicht eines Schuljungen mit Stupsnase, rundem Kinn und Bäckchen wie eine Puppe. Er ähnelte einem freudestrahlenden Hans im Glück.
Die Braut hätte keinen größeren Kontrast zu ihm darstellen können. Sie war groß, wirkte hauptsächlich wegen ihrer schönen langen Beine so hochgewachsen und trug ein ärmelloses, knielanges Etuikleid aus elfenbeinfarbener Wildseide. Es ließ die Arme frei, die den gleichen goldenen Ton hatten wie die gebräunten Beine. Die Toque im Stil einer Kosakenmütze auf ihrem Kopf war aus dem gleichen Material gearbeitet und harmonierte perfekt mit ihrer Mähne honigblonder Haare. Ich hatte schon immer eine Schwäche für Blondinen mit langen Beinen. Aber an diesem Nachmittag überrollte mich viel, viel mehr als momentan aufflammende Begierde und brachte mich buchstäblich aus der Fassung.
Ich kniete bei den Stufen nieder, hingerissen und fassungslos. Im gleichen Moment, als ich die Braut erkannte, meldete sich ein Notwehrreflex, der mich warnte: »Sie ist es nicht, das ist sie nicht! Du hast Halluzinationen, du täuschst dich. Man kann jemanden nach sechzehn Jahren nicht wiedererkennen. Sie war erst zwölf, als du sie letztes Mal gesehen hast. Diese Frau sieht nur aus, als könnte sie es sein. Sei nicht albern, nimm dich zusammen!« Ich versuchte, mir das einzureden, und zwang mich aufzustehen, kam aber vor dem Aha-Erlebnis, das die Sache entschied, nur stolpernd einen weiteren Schritt voran.
Zwei Meter hinter der Braut gingen ihre Eltern. Nach sechzehn Jahren hätte ich mich Maggot Newsam vielleicht täuschen können, aber bei Corinna und Henry konnte ich mich niemals irren. Henry sah wie eine extreme Ausgabe seines jüngeren Ichs aus, ein Musterbeispiel dafür, welche Zerstörung der Alkohol an einem Menschen anrichten kann. Aber Corinna war zeitlos. Unverkennbar von der Lage Haarspray bis zu den altmodischen Schuhen.
Ich stand da und sah die Hochzeitsgäste vorbeiziehen, aber ein wirbelndes Kaleidoskop der Erinnerungen ließ mich alles nur verschwommen wahrnehmen. Musikfetzen von Crowded House, Corinnas Lieblingsband, ertönten und verklangen wieder in meinem Kopf, als kämen sie von einem schlecht eingestellten Radiosender. Trotz meiner Benommenheit gelang es mir schließlich, langsam die restlichen Stufen hinaufzusteigen. Einer oder zwei der Tagungsteilnehmer, die im Schatten unter den Zedern saßen, warfen mir sonderbare Blicke zu, aber ich kannte sie nicht, deshalb war es mir egal.
Ich ging weiter am Sackville Building vorbei zum Bootsanleger. Patsy Dillard, die Frau des Tagungsveranstalters, winkte mir zu, als ich mich näherte, »Jay, wir haben die Kissen und den Staken, aber wir wussten nicht, dass die Boote angekettet sind«, rief sie. »Könnten Sie zur Portiersloge gehen und den Schlüssel für das Vorhängeschloss holen?«
»Natürlich. Mach ich gern.«
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Patsy, als ich mit dem Schlüssel für das schwere Vorhängeschloss zurückkam, das die Kette des Bootes am Anleger sicherte. »Sie sehen aus, als wären Sie einem Gespenst begegnet.«
Ich zwang mich zu lächeln. »Hier habe ich vor langer Zeit mein Examen gemacht, Patsy. Überall verfolgen mich Gespenster, ich kann kaum das Heute sehen vor lauter Schatten von gestern.« Ich brachte den Schlüssel zurück, aber die Loge war leer, also legte ich ihn auf den Tresen, wo der Portier ihn mit Sicherheit finden würde, sobald er zurückkam. Es ist komisch, aber ich erinnere mich genau an alle Einzelheiten, sogar an die unwichtigen Nebensächlichkeiten.
Da ich in der Nähe von Magnusson Hall war, beschloss ich, kurz hineinzugehen und den Junior Common Room zu besuchen. Das war der Ort, wo ich als Vorsitzende des JCR geschaltet und gewaltet hatte. In dem Raum gab es überraschend wenige Veränderungen seit den Tagen, als ich dort die Versammlungen geleitet hatte. Auf jeden Fall roch es noch genauso: abgestandener Zigarettenrauch und Alkohol, überlagert vom künstlichen Zitronenduft der Möbelpolitur und einem Hauch von Chlorbleiche von den Toiletten nebenan. Die Dartscheibe war noch da, allerdings hatte man inzwischen einen Strahler angebracht. Der Tischfußball stand noch in einer dunklen Ecke bei der Bar, deren alte Holzklappe durch ein Metallgitter ersetzt worden war. Seltsamerweise sahen die Stühle genauso abgewetzt und unbequem aus, wie sie immer gewesen waren. Es konnten
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