Alle Rache Will Ewigkeit
Möglichkeit, Lisa zu sehen, war jedoch genauso verstörend wie zuvor. Es würde anstrengend werden, ihre Gefühle zu verbergen, während sie jeden Blick und jede Bemerkung von Lisa genauestens prüfte. »Wir hätten uns das Frühstück aufs Zimmer bringen lassen sollen«, nörgelte sie, während sie sich anzog.
»Das hast du schon gestern Abend gesagt. Weiß der liebe Gott warum, sonst willst du ja nie Zimmerservice im Hotel. Du beklagst dich doch immer, dass es nie heiß genug ist und nie das Richtige gebracht wird.«
Nach ihrer siebenjährigen Erfahrung mit Charlies Vorurteilen und Vorlieben lag Maria natürlich richtig. »Ich war ein bisschen betrunken. Da hab ich mir wohl gewünscht, mal auszuschlafen«, erklärte Charlie.
»Das ist aber nicht besonders sinnvoll, wenn du mit den Männern von der Bergwacht um zehn verabredet bist. Während du mit ihnen sprichst, fahre ich ein bisschen herum und schau mir die Insel an. Geht das in Ordnung?«
Alles, was Maria aus Lisas und Nadjas Nähe entfernte, war nach Charlies Erachten ein großes Plus. »Gut.« Sie schaltete den Föhn an und beendete damit praktisch das Gespräch.
Als sie den Speisesaal betraten, war Charlie erleichtert, dass niemand da war. Ihr Tisch vom Vorabend war als einziger noch fürs Frühstück gedeckt. »Sieht aus, als hätten Lisa und Nadja sich früh aufgemacht«, kommentierte Maria. »Schade. Ich hatte daran gedacht, sie zu fragen, ob sie sich vielleicht diesen Vormittag mit mir zusammentun wollten.«
Charlie verbarg ihre Erleichterung hinter der Frühstückskarte und beschloss, ihr Glück mit der preisgekrönten Wurst und Rühreiern zu versuchen, und dazu genug Kaffee, der ihre Synapsen auf Touren bringen würde. Sie versuchte, den Gedanken an die Säure von Marias frisch gepresstem Orangensaft oder das Geräusch beim Kauen ihres Knuspermüslis zu verdrängen. Sie waren fast fertig mit dem Frühstück, als Charlies Erholungspause auch schon zu Ende ging.
Lisa und Nadja kamen in den Speisesaal geschlendert. »Morgen«, sagte Lisa. »Sie sind ja sehr pflichtbewusst, dass Sie zum Frühstück aufgestanden sind. Wir waren faul und haben im Bett gegessen.« Sie schien bemerkenswert zufrieden mit sich. Charlie war beruhigt zu sehen, dass Nadja weniger begeistert vom Leben zu sein schien. Sie wirkte leicht schmollend wie eine Frau, die findet, sie bekäme nicht genug Aufmerksamkeit.
»Ich mag es, wenn das Frühstück noch heiß ist«, sagte Charlie. »Dafür lohnt es sich immer aufzustehen.«
»Was sind Ihre Pläne für heute?«, fragte Lisa.
»Charlie ist heute Vormittag mit ein paar Leuten verabredet, deshalb will ich ein bisschen herumfahren. Wie steht’s mit Ihnen? Sie können gern mitkommen, wenn Sie möchten.«
»Das klingt verlockend«, sagte Lisa. »Geht es dabei um Arbeit, Charlie?«
»Ich will mit zwei Männern von der Bergwacht sprechen.« Sie war ziemlich sicher, dass es ihr am Abend zuvor gelungen war, dies in der Unterhaltung nicht zu erwähnen. Nadja sah aus, als werde sie vor Langeweile gleich umkippen.
»Wirklich? Haben die Leute eine Art einzigartige Einsicht in die Psychologie des Abnormalen?«
»Sie würden sich wundern«, sagte Charlie. »Sie müssen ja mit Menschen in Extremsituationen umgehen. Das kann sehr aufschlussreich sein.«
»Ich nehme an, Sie brauchen eine Beschäftigung, bis es für Sie berufsmäßig wieder weitergeht«, sagte Lisa mit einem traurigen Lächeln. »Ich weiß, dass wir das gestern Abend nicht erwähnt haben, Charlie, aber Ihre Situation ist mir bekannt.«
Nadja wurde munter. »Wovon redest du? Was ist Charlies Situation?«
»Ich bin vorübergehend beurlaubt und praktiziere nicht. Ich sehe einem Disziplinarverfahren entgegen«, sagte Charlie und fragte sich kurz, ob dies Lisas Art war, Unterstützung zu zeigen. Wenn ja, dann ging das nach hinten los.
Nadja riss den Mund auf und bedeckte ihn mit der Hand. »Oh mein Gott«, sagte sie. »Jetzt erkenne ich Sie. Ich dachte doch, dass Sie mir irgendwie bekannt vorkommen. Sie sind die, die den Typ freigekriegt hat, der danach all diese Frauen umgebracht hat. Ach Gott. Wie leben Sie mit so was?«
»Charlie hat sich nichts vorzuwerfen«, sagte Maria und stand unvermittelt auf. »Man sollte ja wohl kaum der Staatsanwaltschaft helfen, einen Unschuldigen zu verurteilen.«
»Er war aber nicht sehr unschuldig, oder? Er brachte vier Frauen um. Und das ist nur das, worüber wir Bescheid wissen«, sagte Nadja.
»Er hat den ersten Mord, dessen er angeklagt
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