Alle Rache Will Ewigkeit
Seil hätte abschneiden müssen.« Selbst Eric verstummte, als er daran zurückdachte.
»Wir wussten alle gleich Bescheid«, sagte Calum. »An so etwas denkt man immer wieder mal. Wenn man nicht klettert, versteht man das nicht.«
»So, wie sie es erklärte, leuchtete es uns ein«, fügte Eric hinzu. »Sie hatte keine andere Wahl. Das Seil durchschneiden, oder beide mussten sterben. Das Seil kappen, dann hatte eine noch eine Chance. Ehrlich gesagt, sie tat uns allen leid. Wir wussten, dass sie dafür Prügel bekommen würde, aber sie hätte nichts anderes tun können, um am Leben zu bleiben.«
»Hat es Sie überrascht, dass die beiden bei so einem Wetter da oben waren?«, fragte Charlie.
Erics Gesicht nahm einen konzentrierten Ausdruck an. »Eigentlich nicht. Die Wettervorhersage war nicht so schlecht gewesen. Das Unwetter war viel schlimmer, als wir an dem Nachmittag erwartet hatten. Und dann dürfen Sie nicht vergessen, wenn man gern in Schnee und Eis klettert, gibt es auf den britischen Inseln nichts Schöneres als die Cuillin-Kette im Winter. Absolut nichts. Es ist die größte Herausforderung des britischen Winterkletterns. So nah kommt man sonst nie an die Alpen ran.«
»Sie fanden es also nicht selbstsüchtig? Oder nicht in Ordnung, bei so einem Wetter da hochzugehen, wenn man wusste, dass man Ihr Team in Gefahr bringt, wenn etwas schiefgeht?«, beharrte sie.
»Wenn man so denkt, ist alles Bergsteigen selbstsüchtig«, antwortete Calum. »Ich würde die Entscheidung, an dem Tag damals loszuziehen, nicht kritisieren.«
»Sie hatten eben Pech«, sagte Eric. Jetzt kamen wieder die Finger zum Aufzählen an die Reihe. »Erstens war das Wetter gegen sie. Zweitens ist diese Kathy an der schmalsten Stelle eines schmalen Grats ausgerutscht. Drittens schlug sie sich den Kopf an und konnte sich danach nicht selbst helfen. Viertens fand die andere junge Frau keinen Fixpunkt für das Seil. Und fünftens fiel dem Mädchen der Rucksack mit der ganzen Ausrüstung hinunter, so dass es kein Gerät hatte, um beide wieder aus der Klemme herauszuholen, in die sie geraten waren. Sie saßen – entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise – in jeder Hinsicht in der Scheiße. Ich sage Ihnen, wir beten alle, dass wir im Gebirge nie so einen Tag erleben.«
»Sie wussten also damals schon, dass es keinen Sinn hatte, an dem Abend noch nach Kathy Lipson zu suchen?«
Calum warf ihr einen ungläubigen Blick zu. »Wir wussten, dass sie vom Berghang ungefähr tausend Meter in die Tiefe heruntergestürzt war. Was glauben Sie denn?«
»Das Wichtigste war uns, die andere Frau runter und ins Krankenhaus zu bringen. Man kümmert sich um die Lebenden, bevor man an die Toten denkt«, sagte Eric. »Aber wir wussten, dass wir in der Frühe beim ersten Licht wieder draußen sein würden. Man will ja nicht, dass irgendwelche Wanderer zufällig auf eine Leiche stoßen. Glauben Sie mir, am besten stellen Sie sich gar nicht vor, wie jemand nach so einem Sturz aussieht.«
Er hatte recht. Charlie wollte sich das absolut nicht ausmalen. »Sie sagten, dass Jay Stewart ihren Rucksack verlor. Wissen Sie, wie das passiert ist?«
»Sie lag mit ausgestreckten Armen und Beinen mitten in einem Schneesturm auf einem Höhenrücken und hielt das ganze Körpergewicht einer anderen Frau. Der Rucksack rutschte ihr durch die Finger, als sie versuchte, an ihre Ausrüstung ranzukommen. Wie Eric sagte, es war Pech. Ein Ausrutscher löst manchmal eine regelrechte Kettenreaktion aus.« Calum starrte bedrückt in seine Cola und trank sie dann aus. »Wie beim Domino.«
Sie saßen alle eine Weile in deprimiertem Schweigen, dann schaute sich Eric erwartungsvoll um. »Meinen Sie, wir könnten noch Shortbread bekommen, wenn wir nachfragen?«
Charlie ging los, um Nachschub zu besorgen. Sie war noch nicht am Ende ihrer Fragen, und wenn Shortbread gebraucht wurde, wollte sie dafür sorgen, dass es da war. Als sie zurückkam, war Calum aufgestanden und studierte eine alte Landkarte der Insel, die gerahmt an der Wand hing.
»Sie bringen uns gleich noch welches«, sagte Charlie. »Haben Sie Jays Rucksack jemals gefunden?«
»Wir fanden ihn früher als die Leiche«, sagte Eric. »Er war aufgeplatzt, als er auf dem Boden auftraf. Felshaken, Seilsicherungen, Proviant und eine zerplatzte Wasserflasche lagen überall herum, all der übliche Kram.«
»Und ihr Telefon?«
Calum drehte sich zu ihr um. »Es war neben dem Rucksack in tausend Stücke zersplittert. Es sah aus, als wäre
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