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Alle Rache Will Ewigkeit

Alle Rache Will Ewigkeit

Titel: Alle Rache Will Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Reißen der Tapete lockerte sich der untere Teil der falschen Wand, und als sie plötzlich nachgab, taumelte Charlie rückwärts. Sie versuchte, wieder das Gleichgewicht zu gewinnen, fasste Tritt und blickte auf das Loch, das sie freigelegt hatte.
    Und da verstand sie, warum.

15
    C harlie hatte nur einmal im Museum in Manchester Mumien gesehen. Und die waren in Glasvitrinen gewesen. Aber dieses makabre Überbleibsel war nicht irgendein keimfreies Ausstellungsstück. Seine Verbindung zum modernen Leben war nur allzu anschaulich durch die verblassten Fetzen neuzeitlicher Kleidung und den kleinen Koffer, der gegen die hintere Wand geschoben war. Charlie versuchte, sich auf diese Nebensächlichkeiten zu konzentrieren statt auf die nur allzu menschlichen Überreste selbst. Aber die Leiche zog ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich.
    Die Haut war dunkelbraun und lag fest gespannt über den Knochen. Das weiche Gewebe war ausgetrocknet und gab dem Kopf das Aussehen eines bizarren Werks der Britart – ein mit ganz dünnem, wie Papier wirkendem Leder überzogener Schädel, die Zähne ein leuchtendes Grinsen, die Augenhöhlen dunkle leere Schreckensbilder, und das Haar hing strähnig und wirr herunter. Die Glieder ähnelten getrockneten Fleischstreifen, die Muskeln waren zusammengezogen und verdreht zu einer Haltung, die der Embryonalstellung glich.
    Zuerst begriff sie gar nicht, was sie da vor sich hatte. Dann erinnerte sie sich an die Beschreibung der Kleider, die Jenna Calder an dem Tag getragen hatte, an dem sie verschwand. Die vermoderten Überreste der Jeans hingen ihr um die Hüften. Die rosa Polyesterbluse war fast noch ganz erhalten, allerdings war sie verfärbt, wo sie gegen den Körper gepresst war. Ein brauner Regenmantel lag zusammengefaltet unter der Mumie, die Gürtelschnalle war deutlich sichtbar. Die Leiche mochte aussehen, als hätte sie da seit Jahrhunderten gelegen, aber Charlie hatte keine Zweifel, dass dies Jay Stewarts Mutter war. »Oh mein Gott«, sagte sie, wich unwillkürlich einen Schritt zurück und ließ die Gipsplatte los, an die sie sich geklammert hatte. Ohne den Blick von ihrer grausigen Entdeckung abzuwenden, steckte sie die Hand in die Tasche, um ihr Handy herauszunehmen.
    »Lieber nicht.«
    Die Stimme kam von hinten. Charlie erkannte sie und fuhr herum, ungläubiges Staunen trat auf ihr Gesicht, und sie wünschte sich, ihre Augen könnten ihr beweisen, dass ihre Ohren sich getäuscht hatten. »Lisa?«
    »Gib mir das Handy, Charlie.« Lisa trat aus dem Flur ins Zimmer.
    Charlie konnte nicht fassen, was sie vor sich sah. Lisa Kent in einer schwarzen Jeans und schwarzer Lederjacke hielt etwas in der rechten Hand, das sie auf Charlie gerichtet hielt. »Was redest du da?«, fragte sie, ohne zu begreifen.
    »Gib mir einfach das Handy.« Lisa machte mit der linken Hand eine Geste. »Komm, Charlie, es ist kein Spiel.« Sie hielt die rechte Hand hoch. »Das ist Pfefferspray. Es ist sehr schmerzhaft und setzt einen außerdem schachmatt. Ich will es noch nicht verwenden, aber wenn ich muss, werde ich es tun. Jetzt gib mir das Handy.«
    Verwirrt und bestürzt, ahnungslos, womit sie es hier zu tun hatte, beschloss Charlie zu kooperieren. »Ich versteh das nicht«, sagte sie und streckte sich, um das Handy in Lisas Hand zu legen.
    Sie bemerkte, dass Lisa enge Latexhandschuhe trug. »Ist alles in Ordnung mit dir, Lisa? Was ist denn hier los?«
    Lisa steckte das Handy in ihre Jackentasche. »Mir geht es durchaus gut, Charlie. Du hattest recht mit diesen Todesfällen, weißt du. Es waren Morde.« Sie sprach ganz beiläufig, als säßen sie in ihrem Wohnzimmer und plauderten miteinander. »Tritt zurück, bitte. Es ist mir nicht angenehm, wenn du mir so nah bist. Und nicht aus den erbärmlichen Gründen, die du dir wünschen würdest«, sagte sie, und in ihren Worten lag eine grausame Schärfe.
    Charlie machte einen Schritt zurück, völlig überrumpelt von dem Gefühl, dass ihr der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. »Ich begreife das nicht«, wiederholte sie. »Was hat all das mit dir zu tun? Warum bist du hier?«
    »Es war lächerlich einfach, dir zu folgen«, sagte Lisa und schlug wieder den Plauderton an. »Schaust du jemals in deinen Rückspiegel? Ich wusste, dass du schließlich bei Howard Calder auftauchen würdest, und blieb dir einfach auf den Fersen. Ich hoffte, dass du nichts finden würdest, was du weiterverfolgen konntest. Aber ich war darauf vorbereitet, mich damit zu befassen, solltest du

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