Alle Rache Will Ewigkeit
die noch etwas zu Ende brachten. Wieso gibt es diese beiden verschiedenen Versionen?« Charlie hatte anfangs diese voneinander abweichenden Versionen als nebensächlich abgetan. Aber jetzt war sie nicht so sicher, dass sie damit richtig gehandelt hatte.
»Weil sie eine kleine Lügnerin ist.« Er sah aus, als würde er am liebsten wegen eines schlechten Geschmacks im Mund ausspucken. »Alles ist ihr recht, um sich wichtig zu machen. Sie versucht immer, im Rampenlicht zu stehen. Sie war schon verdorben, als sie hier einzog. Wenn ich sie als kleines Kind gehabt hätte, wäre es eine andere Geschichte gewesen. Ich glaube nicht, dass sie an dem Morgen damals bei den Wohnungen war. Sie war beim Zahnarzt. Kleine Lügnerin.«
Es schien nicht besonders sinnvoll, angesichts solcher Heftigkeit weiter nachzubohren. »Jennifer schien zu glauben, dass ihre Mutter mit Rinks van Leer davonlief. Mit ihrem alten Freund.« Charlie bemühte sich, ihre Stimme ausgeglichen und emotionslos klingen zu lassen.
»Sie war nicht bei ihm. Ich habe selbst nachgesehen und die Polizei auch. Jennifer irrte sich. Das sind alles Hirngespinste und Lügen. Ich glaube nicht einmal, dass sie den Mann überhaupt kannte, bevor sie bei dem Projekt der Riverdale Wohnungen mitmachte. Die anderen Freiwilligen sagten das auch. Sie waren sich sympathisch, aber niemand außer Jennifer dachte, dass da etwas lief. Aus welchem perversen Grund auch immer wollte Jennifer aber, dass ich glaube, dieser Mann sei aus Jennas Vergangenheit aufgetaucht und hätte sie mitgenommen. Unsinn. Bösartiger Unsinn. Aber ich erwarte nichts anderes von ihr. Kein Wort der Dankbarkeit für die Jahre, in denen ich sie kleidete, ernährte und ihr ein Dach über dem Kopf gab, obwohl sie das Kind eines anderen Mannes war. Ich kenne meine Christenpflicht.« Er hielt plötzlich inne. Auf seinen Wangen waren zwei rote Flecken erschienen.
»Ich bin überzeugt, dass Sie das tun«, sagte Charlie, wobei ihr fast die Worte im Hals stecken blieben. Ungebeten kam in ihrem Gedächtnis eine alte Erinnerung an Jay an die Oberfläche, wie sie während irgendeiner Party am Rand einer Gruppe stand. Als sie Charlies Blick auf sich fühlte, blickte sie auf und schien misstrauisch wie ein fremder Hund am Rand einer Lichtung. Aus dem Rückblick und im Licht der Erfahrung erschien die Vorsicht, die immer hinter dem Charisma lauerte, vollkommen einleuchtend. Wenn man in der Gesellschaft dieses Mannes aufgewachsen war, hatte es nicht leicht sein können, einen Weg zum Erfolg zu finden. Wie oft hatte er es versucht, Jays Mut in den Staub zu trampeln? War Jenna innerlich zerrissen gewesen, oder hatte sie sich ganz dem Blut des Lamms untergeordnet? »Würden Sie sagen, dass Jenna eine leichtgläubige Frau war?«
»Sie hatte in der Vergangenheit, als sie noch auf den Wegen der Sünde wandelte, anderen erlaubt, Macht über sie zu haben. Aber nachdem sie Jesus als ihren Retter annahm, war sie ganz und gar Gott ergeben. Ihr Glaube war ihr Fels in der Brandung. Deshalb wäre sie nicht auf etwas hereingefallen, das ihren Überzeugungen widersprach.«
Charlie nickte und tat so, als befriedige sie diese Antwort. »Nun, Mr. Calder, es tut mir leid, dass ich Ihre Zeit in Anspruch genommen habe. Es scheint mir sehr unwahrscheinlich, dass Ihre Frau ein Opfer des Mannes war, der uns interessiert.«
Er senkte den Kopf. »Gott sei Dank dafür. Entgegen allen Erwartungen bete ich immer noch, dass sie eines Tages durch diese Tür treten wird, bereit, dass ich ihr vergebe.«
Charlie erhob sich. »Ich hoffe wirklich, dass Sie recht behalten«, schloss sie und wünschte von ganzem Herzen, dass Jenna wirklich mit Rinks van Leer abgehauen war. Oder sonst jemandem. Leider konnte sie es nicht mehr so recht glauben. Aber sie war fertig mit Howard Calder. Wo immer die Antworten zu ihren Fragen lagen, es war jedenfalls nicht hier in diesem verkümmerten Ersatz für ein Zuhause.
14
W as immer in Roker vor zwanzig Jahren geschehen sein mochte, es war tief vergraben, das stand fest. Aber da sie die lange Fahrt hierher gemacht hatte, konnte Charlie nicht widerstehen, einen Blick auf den Ort zu werfen, wo Jenna Calder ihre geheimen Schäferstündchen mit ihrem Holländer verbracht hatte. Die Riverdale Wohnungen waren nur eine Meile vom Haus der Calders entfernt, aber unten an der Küste. Es kam einem vor, als gehörten sie zu einer anderen Welt.
Aus der Ferne konnte Charlie die Umrisse eines braunen Backsteingebäudes sehen, das
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