Alle Rache Will Ewigkeit
entfernt an Jugendstil erinnerte. Große Fenster gingen auf die starke Dünung des Meeres hinaus. Kein schlechter Ort, um dort seine letzten Jahre zu verbringen, dachte sie. Aber als sie näher kam, bemerkte sie, dass das Gebäude weniger reizvoll war, als es zuerst erschienen war. Ein knapp zwei Meter hoher Bretterzaun lief außen herum, und die Fenster im Erdgeschoss sowie der Eingang waren mit Brettern vernagelt. Charlie parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite und bemerkte ein an dem Zaun befestigtes Schild.
Riverdale. In Kürze entstehen hier luxuriöse Wohnungen mit Seeblick.
Und darüber war die künstlerische Darstellung eines typischen modernen Wohnblocks mit viel Glas und Stahl zu sehen. Wäre sie ein paar Wochen später gekommen, dann wäre all dies eine Baustelle und jede Spur der alten Riverdale Wohnungen für immer verschwunden gewesen. Charlie überquerte die Straße und ging um die Einzäunung herum. An der hinteren, von der Straße abgewandten Seite des Baugeländes waren zwei Torflügel, die durch ein Vorhängeschloss und eine Kette zusammengehalten wurden. Charlie zog an dem Schloss, aber es war ordnungsgemäß abgeschlossen. Die Torflügel waren etwas zu schmal; wäre sie so dünn gewesen wie Lisa oder Jay, hätte sie sich hindurchdrücken können. Aber Charlie hatte zu viele Pölsterchen für ein solches Abenteuer. Sie ging weiter, und als sie um die Ecke bog, sah sie zu ihrer Überraschung, dass jemand die Bretter des Zauns gelockert hatte. Sie waren wieder zusammengeschoben worden, aber auf den Durchlass führte ein deutlich ausgetretener glatter Pfad durch den Matsch zu.
Aus Neugier schob Charlie die Bretter auseinander und stieg hindurch. Ein paar Meter zertrampeltes Gras trennten den Zaun von dem Wohnblock. Der Hintereingang war mit einem Stück Wellblech verdeckt, aber es schwankte im Wind. Als sie näher kam, sah sie, dass die Nägel, die das Blech am Türrahmen befestigt halten sollten, an einer Ecke und über die Hälfte der einen Seite herausgezogen waren. Man konnte hineinkriechen, indem man sich duckte und das Wellblechstück zurückbog.
Charlie nahm ihre Schlüssel heraus. Maria hatte ihr zu Weihnachten eine winzige, aber hell leuchtende Taschenlampe geschenkt. Charlie war nicht sicher gewesen, wozu sie gut sein sollte, hängte sie aber an ihren Schlüsselring, um Maria nicht den Spaß zu verderben. Nun schaltete sie sie an und war überrascht, wie viel Licht das kleine Ding gab. Sie stand in einem Flur, der nach Moder, Zigaretten und Urin roch. Ein leises Trippeln weiter vorn ließ sie an Ratten denken, woraufhin sie überlegte, ob sie weitergehen solle. »Nimm dich zusammen«, befahl sie sich streng. »Die haben doch mehr Angst vor dir als du vor ihnen.«
Zu beiden Seiten des Flurs waren Türen: 1 D und 1 E. Sie ging behutsam weiter und bemerkte, dass die Tür zu 1 E nur angelehnt war. Sie stieß sie auf und leuchtete mit der Lampe hinein. Ein Haufen zerdrückter Bierdosen und leerer Flaschen, in denen Cider gewesen war. Zigarettenkippen und Pizzaschachteln. Es sah eher nach Teenagern als nach etwas Schlimmerem aus.
Sie ging um die Ecke und stieß auf eine massive Treppe aus einer Art Steingemisch. Charlie stieg am ersten Stockwerk vorbei weiter nach oben. Als sie sich dem zweiten Stock näherte, wurde es im Treppenhaus deutlich heller. Sie begriff, dass die Fenster nur in den beiden unteren Stockwerken zugenagelt waren. Im zweiten und dritten Stock kam Licht in das Gebäude. Jetzt sah sie, dass alle Türen zu den Wohnungen offen standen, um die Schlösser herum waren die Spuren eines schweren Hammers oder etwas Ähnlichem zu erkennen. Jemand war offenbar hier durchgegangen und hatte nachgesehen, ob es etwas gab, das sich abzustauben lohnte.
Das Schloss von 4 C hatte unter der Gewalteinwirkung nachgegeben, genauso wie die anderen. Obwohl sie nicht ganz sicher war, warum sie sich die Mühe machte, betrat Charlie den schmalen Gang und ging weiter zu einem Raum, der wahrscheinlich das Wohnzimmer gewesen war. Die Aussicht auf den Spazierweg und den Strand, wo die Wellen jetzt mit weißen Schaumkronen herandonnerten, war eindrucksvoll. Es gab keine Möbel, aber auf dem Teppichboden waren noch alte Abdrücke zu erkennen, wo Stühle, Tische und eine Anrichte gestanden hatten. Im Mauervorsprung über dem Kamin, wo die Feuerstelle gewesen war, klaffte ein Loch, und an den Wänden waren helle Umrisse der Bilder, die da einmal gehangen hatten. Charlie sah sich in dieser
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