Alle Rache Will Ewigkeit
nicht Freundschaft war, was mir fehlte. Es haperte in meinem Leben an dem, was schon immer gefehlt hatte. Ich brauchte eine Mutter. Und irgendwie hatte Corinna Newsam dieses Bedürfnis erkannt.
Jay lächelte zufrieden. Das würde bei Magda viel besser ankommen. Es warf auch ein wohlwollendes Licht auf Corinna und stattete Magda mit zusätzlicher Munition gegen die Feindseligkeit ihrer Mutter aus. Sie konnte sich vorstellen, dass Magda so etwas zu Corinna sagen könnte wie: »Aber sie erzählt nur Nettes über dich. Sie spricht davon, wie gütig du zu ihr warst. Warum bist du jetzt so hart?« Jede Kleinigkeit half.
Jay kontrollierte die Uhrzeit an der Bildschirmanzeige. Noch achtzehn Minuten bis zu den nächsten Nachrichten. Laut Magda würden die Geschworenen irgendwann heute zu einer Entscheidung kommen. Aber es hieße, das Schicksal herausfordern, wenn man von ihnen erwartete, dass sie mit einem schnellen Urteilsspruch aufwarteten. Jay wünschte sich sehr, es möge vorbei sein und sie und Magda könnten ihr Leben ohne Angst in die Hand nehmen. Aber sie wusste aus früherer Erfahrung: Wenn man eine Kettenreaktion in Bewegung setzte, war Geduld der einzige Verbündete, den zu behalten sich lohnte. Alles würde gut werden. Der Ball, den sie an Magdas Hochzeitstag ins Rollen gebracht hatte, würde bald im Tor landen. Die nächsten Nachrichten spielten keine Rolle. Sie hatte noch jede Menge Zeit zum Schreiben.
Am Ende unserer dritten Seminarsitzung sprach Corinna mich an. »Sind Sie in Eile?«, fragte sie.
»Nein.«
Sie nickte und lächelte. »Hätten Sie Lust auf ein Bier? Ich würde mich gern mit Ihnen über Ihre Arbeit unterhalten.«
Ich wusste nicht, ob ich besorgt oder begeistert sein sollte. Ich hatte mich erst vor vier Wochen von einer Welt entfernt, in der Erwachsene mit denen, die als Kinder betrachtet wurden, keinen Umgang pflegten. Wir gingen aus dem College hinaus zum nächsten Pub und beeilten uns, dem bitterkalten Wind zu entgehen, der uns entgegenschlug und uns den Atem für eine Unterhaltung nahm. Ein oder zwei jüngere Studentinnen starrten uns an, als wir eintraten, zweifelsohne erkannten sie Corinna, die sich schüttelte wie ein nasser Hund. An der Bar holte sie zwei Bier, ohne zu fragen, was ich trinken wollte, dann führte sie mich an einen Ecktisch.
»Ich dachte, Sie würden gern ein Bier trinken«, sagte sie und nahm nach dieser Bemerkung einen Schluck, der das Niveau in dem großen Glas um einen ersten Inch sinken ließ. Ich fand, es sei nicht der rechte Zeitpunkt, um Corinna zu erinnern, dass ich noch nicht volljährig war, oder darauf hinzuweisen, dass ich aus einer abstinenten methodistischen Familie stammte.
»Danke«, antwortete ich. »Worüber wollten Sie sprechen?« In solchen Dingen war ich damals nicht gewandt. Ich probierte das Bier. Es war dünn und bitter und roch nach nassem Hund.
»Ihr Referat war ausgezeichnet. Eines der besten, das ich je von jemandem im Grundstudium gehört habe. Ich glaube, Sie täten gut daran, Sprachphilosophie als eine Karrieremöglichkeit in Erwägung zu ziehen.« Ich versuchte, etwas zu sagen, aber Corinna hielt die Hand hoch. »Ich finde, Sie haben interessante Ideen auf diesem Gebiet. Sie wären wahrscheinlich eine der zwei oder drei Studentinnen am College, die sich damit beschäftigten, Sie würden also von Ihrer Tutorin viel mehr Aufmerksamkeit bekommen. Und das wäre ich.« Sie grinste. »Ich stehle gern die talentiertesten Studentinnen für meine Fachgebiete. Es lässt mich gut dastehen, wenn die Examensergebnisse fällig sind.«
Ich hatte von meinem Bier genippt, während Corinna sprach, und es geschafft, den Inhalt meines Glases auf das gleiche Niveau zu bringen wie meine Dozentin. »Ich habe schon eine Entscheidung getroffen«, sagte ich, ließ aber Corinna so lange warten, bis ihre Enttäuschung sichtbar wurde. »Ich nehme Sprachphilosophie. Die meisten Texte auf der Lektüreliste habe ich sowieso schon gelesen.«
Diese Antwort war goldrichtig. Es gab mir konkurrenzlosen Zugang zu Corinnas Intelligenz und Wissen. Und ich war verliebt in dieses Wissen. Innerhalb von zwei Wochen freundeten wir uns an und gingen regelmäßig miteinander etwas trinken; wir trafen uns ein- oder zweimal in der Woche, gewöhnlich gegen neun Uhr abends, nachdem Corinna vom College nach Haus gegangen, den Kindern zu essen gegeben, sie gebadet und ins Bett gesteckt und mit Henry zu Abend gegessen hatte. Ich fand sie phantastisch; dass sie ein solches Leben
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