Alle Rache Will Ewigkeit
bewältigte, überstieg meine Vorstellungskraft. Aber Corinna war auch aus anderen Gründen großartig; egal wie viel sie trank, sie blieb immer eloquent und anregend. Oder vielleicht war es so, dass ich zu betrunken war, um einen Unterschied zu bemerken. Wir sprachen über unsere Biographien und tauschten Klatsch über die Leute am College aus. Corinna beklagte sich über Henry, ich beklagte mich über den, der gerade der Mann in meinem Leben war. Die Männer hielten sich nie länger als ein paar Wochen, und jede Spur ihrer Namen ist längst aus meinem Gedächtnis geschwunden. Aber Corinna lachte oft schallend über meine Geschichten und warnte mich regelmäßig davor, mich in einen Mann zu verlieben, nur weil er mich zum Lächeln brachte. Ich begriff, dass Henry das schon lange nicht mehr für sie tat. Nach dem, was sie sagte, hatte er das Trinken lieber gewonnen als sie. Dabei hatte sich seine Weltsicht verhärtet zu einer Mischung aus traditionellem Konservatismus und strengem Katholizismus, in der Migranten, Linke und Homosexuelle ganz oben auf der Liste der Meistgehassten standen. Ich hatte das deutliche Gefühl, dass Corinna mit Freuden Henry aus dem Haus und dem Leben ihrer Kinder hinausgeworfen hätte, wenn sie es nicht als einen Verstoß gegen ihre religiösen Überzeugungen empfunden hätte.
Jay hielt wieder inne. Es war ja gut und schön, die Worte fließen zu lassen, aber sie würde ihre Indiskretionen überarbeiten müssen, bevor Magda den Text in die Hände bekommen konnte. Dieser letzte Satz musste auf alle Fälle gestrichen werden. Henry war damals schon genauso ein hoffnungsloser Fall gewesen wie heute. Aber obwohl Magda wusste, dass ihre Mutter ihren Vater mit der ganzen Verachtung behandelte, die einem verantwortungslosen Trinker zukam, würde sie sich doch kaum bei Jay dafür bedanken, wenn sie Henrys Schwächen in aller Welt bekannt machte. Sie löschte alles nach »einen Unterschied zu bemerken« und tippte weiter.
Wenn die Kneipen schlossen, kehrten wir zu Corinnas weitläufigem Haus in Nord-Oxford zurück und machten es uns in der großen Küche im Untergeschoss gemütlich. Henry kam nie dazu, und ich fand das nie seltsam. Wenn ich überhaupt darüber nachdachte, nahm ich an, dass er kein Interesse an dem College-Klatsch oder den kniffligen philosophischen Thesen hatte. Corinna und ich tranken starken schwarzen Kaffee und unterhielten uns bis nach Mitternacht über Ideen und Sprache, dann bestieg ich das Fahrrad meines Stiefcousins Billy und schwankte in die Nacht davon.
Einige Wochen nachdem wir zum ersten Mal zusammen im Pub gewesen waren, fragte mich Corinna, ob ich babysitten würde. »Die Kinder haben alle gegessen und sind fertig zum Zubettgehen. Du brauchst ihnen nur etappenweise etwas vorzulesen. Ich habe ihnen ein schlimmeres Schicksal als den Tod angedroht, wenn sie dir Schwierigkeiten machen. Dulde keine Widerworte«, hatte sie gesagt, während sie in einem hautengen schwarzen Kleidchen und so stark nach aufreizendem Parfüm duftend, dass es einen Ochsen umgehauen hätte, an mir vorbeischlüpfte.
Ich sah mich in der Küche um. Maggot, das älteste der Kinder, war elf Jahre alt und wurde so genannt, weil Patrick ihren Namen »Magda« nicht sagen konnte, als er sprechen lernte. Sie lag auf einer uralten Chaiselongue ausgestreckt und gab vor, einen Roman von Judy Blume zu lesen, tatsächlich aber beobachtete sie mich unter ihrem weißblonden Pony mit Argusaugen. Patrick und James, neun und acht, die sich jedoch so ähnlich sahen wie eineiige Zwillinge, bauten eine komplizierte Konstruktion mit Teilen aus einem Baukasten. Ganz unbekümmert stritten sie sich darüber, welches Teil als nächstes kam, und beachteten mich gar nicht. Und die vierjährige Catherine, das Nesthäkchen, die von allen Wheelie gerufen wurde, saß vor dem Fernseher, ignorierte aber ihr
Thomas-und-seine-Freunde
-Video und starrte mich mit einem Blick zwischen Faszination und Schrecken an.
Ich holte tief Luft, beugte mich hinunter und breitete die Arme aus. »Komm, Zeit, ins Bett zu gehen, Wheelie.«
Catherine guckte mürrisch und verschränkte die Arme vor der Brust wie die Karikatur einer stämmigen Matrone aus der Newcastler Gegend. »Nein. Hier bleiben.«
Ich ging vor ihr in die Hocke. »Es ist Zeit fürs Bett, Wheelie. Ich wette, du bist müde.«
»Nein«, sagte sie rebellisch und schob die Unterlippe vor.
Ich versuchte, sie hochzuheben. Es war, als würde man unter Wasser mit einer Robbe kämpfen.
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