Alle Rache Will Ewigkeit
keine vertraulichen Details zu verraten, hatte sie doch immer über die Probleme gesprochen, die sich bei ihren Fällen ergaben. »Morgen muss ich ein Gutachten schreiben, das alle total verärgern wird«, hatte sie erzählt. »Sie haben jemanden im Visier wegen eines besonders widerlichen Mordes. Aber ich glaube nicht, dass er es war. Ich halte ihn für einen Psychopathen und glaube, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er eines Tages zu einem regelrechten Triebtäter wird, aber er ist noch nicht so weit. Manche meiner Kollegen würden sagen, das ist Grund genug, ihn wegzusperren und nichts weiter dazu zu sagen. Aber ich kann das nicht.«
Maria hatte nachgehakt, welche Möglichkeiten Charlie hatte und ob ihre Überzeugung endgültig feststand; dann hatte sie sich mit sorgenvollem Gesicht an den Esstisch gesetzt. »Du solltest das nicht tun«, hatte sie gesagt.
»Ich kann nicht gegen meine Prinzipien verstoßen.«
»Gibt es keinen anderen Weg? Kannst du diesen Fall nicht abgeben? Vorschützen, dass ein Interessenkonflikt für dich besteht?«
Charlie seufzte. »Ich wüsste nicht, wie.«
Maria überlegte. »Wenn du dieses Gutachten vorlegst, wird man es nicht vor Gericht verwenden, oder?«
»Natürlich nicht. Es untergräbt die Beschuldigungen ganz und gar; und in diesem Fall liegt sowieso nicht viel überzeugendes Belastungsmaterial vor. Man wird vielleicht einen zweiten Gutachter bestellen, um zu sehen, ob er zu einem anderen Ergebnis kommt, aber so wird der Staatsanwalt mein Gutachten auf keinen Fall verwenden.«
»Dann musst du die Polizei und die Staatsanwaltschaft überzeugen, nichts über deine Beteiligung verlauten zu lassen. Lass das Gericht die Sache erledigen. Halt dich raus, Charlie. Du weißt ja, wie das ist, wenn die Anklage scheitert. Irgendjemand muss es dann ausbaden.«
Und wenn die Sache sich so entwickelt hätte, wie Maria es skizziert hatte, dann wäre es vielleicht gutgegangen. Aber so war es nicht. Alles war so schiefgegangen wie nur möglich. Jemand hatte ihr Gutachten Hoptons Verteidigerteam zugespielt, und sie hatten sich an Charlie gewandt. Man hatte sie in den Zeugenstand gezerrt, und dann war es vorbei für die Anklage.
Das wäre peinlich gewesen, aber Charlies Ruf und Karriere hätten überlebt. Wenn man auf ihre Empfehlung gehört hätte, Hopton in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses unterzubringen, hätte man das sogar ein vernünftiges Ergebnis nennen können. Aber stattdessen hatte Hopton vier Frauen umgebracht, und als man einen Schuldigen suchte, richteten sich alle Blicke auf Charlie.
Corinna hatte recht. Dringender, als sie zugeben konnte, brauchte sie etwas, das ihr Selbstbewusstsein wieder aufrichten würde. Wenn sie einen Justizirrtum aufdecken konnte, wäre es genau das Richtige. Und die Chance, Zeit mit Lisa Kent zu verbringen, wäre das Sahnehäubchen.
Jetzt schüttete Charlie das Kochwasser der Pasta ab und gab würzige Salsiccia und Tomatensauce dazu, die sie vorher gekocht hatte. »Abendessen«, rief sie, richtete alles in einer Schüssel an und stellte diese auf den Küchentisch. Maria kam herein, noch halb in die Feuilletonseiten der Zeitung vertieft. Ohne aufzusehen, fand sie aus Gewohnheit ihren Stuhl und setzte sich, zwischen den Augenbrauen eine leichte Sorgenfalte.
»Beängstigend«, sagte sie, legte die Zeitung zur Seite und reagierte auf das Essen mit einem zufriedenen Nicken.
»Was ist beängstigend?«
»Beängstigend im positiven Sinn«, sagte Maria und nahm die Schale mit dem Parmesan, den Charlie frisch gerieben hatte. »Diese Sache mit den Stammzellen. Weißt du noch, ich erzählte dir doch neulich, wir könnten aus kleinen Zellhäufchen neue Zähne wachsen lassen?«
Charlie, die Maria eigentlich immer zuhörte, weil sie eine geübte und zugleich instinktiv gute Zuhörerin war, nickte. »Ich erinnere mich. Du sagtest, das große Problem sei, herauszufinden, wie die Zellen wüssten, welche Art von Zahn es werden soll.«
»Genau. Weil niemand dort einen Backenzahn haben will, wo ein Schneidezahn hingehört. Nicht einmal, wenn es der eigene Backenzahn ist.« Maria aß ein paar Gabeln Pasta. »Mm, das schmeckt gut. Na ja, jetzt gibt es ein Forscherteam, das glaubt, der Lösung des Problems nah zu sein.« Sie verdrehte die Augen.
»Aber das ist doch gut, oder?«
»Es ist gut für den, der dort ein großes Loch hat, wo Zähne sein sollten. Es ist nicht so toll, wenn man Zahnmediziner ist und Zeit und Geld investiert
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