Alle Rache Will Ewigkeit
hat, um die beste Spezialistin für Implantate weit und breit zu werden.« Maria griff nach dem Glas Wasser, das neben ihrem Teller stand, und nahm einen Schluck. »Bleibt nur zu hoffen, dass sie länger brauchen, das Rätsel zu lösen, als sie denken. So lange, dass ich genug Geld verdienen und mich dann zur Ruhe setzen kann.«
Charlie lachte. »Du bist ja kaum vierzig.«
Marias Hand hielt auf halbem Weg zum Mund an. »Und wie lange, meinst du, will ich meine Tage noch damit verbringen, mir die Stummel im Mund anderer Leute anzuschauen?«
Es war Charlie nie eingefallen, über ihrer beider Leben im Ruhestand zu reden. Sie liebte ihre Arbeit. Nein, schalt sie sich: Sie liebte die Arbeit, die sie früher gehabt hatte. Als sie noch an eine aussichtsreiche Karriere geglaubt hatte, war Ruhestand etwas für andere Leute gewesen. Damals hatte sie gedacht, man werde sie irgendwann gewaltsam von ihrem Arbeitsplatz wegtragen müssen. Sie hatte angenommen, dass Maria ihren Beruf genauso liebte. Aber offenbar hatte sie sich getäuscht. Vielleicht hatten ihre Kritiker recht. Vielleicht taugte sie nicht viel als Psychiaterin.
»Ich dachte, du hättest deine Arbeit gern.« Es klang wie eine Brüskierung.
Marias Augenbrauen zuckten. »Ich mag die Herausforderung. Ich mag die schwierigen Fälle. Aber die routinemäßige Arbeit? Was gibt es da zu mögen? Ich habe mir immer vorgestellt, dass ich in einigen Jahren die Praxis aufgebe und nur ein paar Tage im Monat spezielle Fälle behandle.«
»Davon hast du nie etwas gesagt.«
Maria streckte die Hand aus und strich Charlie übers Haar. »Es ergab sich nicht. Charlie, ich weiß nicht, ob du das je bemerkt hast, aber ich spreche kaum jemals über die Zukunft. Oder die Vergangenheit. Ich kann mir gar kein anderes Paar denken, das mehr im Jetzt lebt als wir.«
»Und das ist gut so.« Charlie stocherte in ihrem Essen herum.
»Aber in letzter Zeit hast du dich verändert.« Marias Stimme wurde leiser, und sie legte die Gabel auf dem Teller ab. »Seit dieser Sache mit Hopton grübelst du über die Vergangenheit und machst dir Sorgen über die Zukunft.«
»Das tut man eben, wenn die Gegenwart nicht so rosig ist.«
Maria seufzte. »Ich weiß, es ist übel, wenn man sich mit Kleinkram zufriedengeben muss, damit man nicht vor Frustration und Langeweile verrückt wird, aber das ist doch nur vorübergehend, Charlie. Alle sagen, dass du diese Sache unbeschadet überstehen wirst.«
Charlie schnaubte. »Beruflich vielleicht. Aber was die Öffentlichkeit betrifft …«
»Aber es ist doch nicht die Öffentlichkeit, die dich für Profile und Therapien aufsucht.«
»Maria, ich bin als Gutachterin nichts wert, wenn ich so berühmt-berüchtigt bin, dass man keine Geschworenen finden kann, die sich nicht schon eine Meinung über mich gebildet haben.«
Maria starrte auf ihren Teller hinunter. »Du musst nicht im Gericht arbeiten. Es gibt andere Dinge, die du tust und die dich genauso befriedigen. Zumindest hast du das immer gesagt.«
Charlie antwortete nicht. Es gab keine Entgegnung, die nicht seicht und oberflächlich geklungen hätte. Diese Tätigkeit hatte einen hohen Stellenwert für sie. Vor Gericht auszusagen war wichtig, weil das eines der wenigen Gebiete ihrer Arbeit war, das mit einem konkreten Ergebnis endete. Wenn sie ihre Arbeit richtig machte, dann landeten die Schuldigen im Gefängnis, die Unschuldigen kamen frei, und die Kranken wurden behandelt.
Selbst wenn die Dinge nicht so liefen, wie sie es für richtig hielt, gab es immerhin einen Schlussstrich. Einen Abschluss. Wenn man sein berufliches Leben mit Leuten zubrachte, deren Denkvorgänge so durcheinander waren, dass sie schließlich beim Psychiater landeten, dann sehnte man sich nach etwas, das abgeschlossen und zu den Akten gelegt werden konnte. Jetzt, da sie die Vorteile der Tätigkeit als Gutachterin erfahren hatte, war sie nicht sicher, dass sie ihre Arbeit ohne dies überhaupt weitermachen konnte.
»Es gibt noch genug Herausforderungen für dich«, sagte Maria, stand auf und holte eine Flasche Wein. Sie goss zwei Gläser ein und stellte sie auf den Tisch. Charlie war diese Geste vertraut. Maria schloss damit eine Unterhaltung ab, die sie nicht weiterführen wollte, weil sie zu nichts führte. Ihr nächster Schritt würde ein radikaler Themenwechsel sein. »Wo wir schon von Herausforderungen sprechen«, sagte sie. »Bist du der Sache mit diesen Zeitungsausschnitten weiter nachgegangen? Die in der Post
Weitere Kostenlose Bücher