Alle Rache Will Ewigkeit
waren.«
Treffer.
Charlie lächelte. Es hatte einiges für sich, mit jemandem zusammenzuleben, von dem man wusste, wie er tickte. »Hab ich«, sagte sie, zufrieden, dass Maria die Sprache auf das Thema gebracht hatte, über das sie sich sowieso unterhalten wollte. »Ich habe weitere Artikel über den Prozess im Internet gesucht und brauchte nicht lange, bis ich herausfand, dass ich die Witwe des Opfers kenne.«
»Wie ›kennen‹ – persönlich, meinst du?«
»Persönlich und seit langer Zeit. Ich habe in meiner Studentenzeit als Babysitter auf sie aufgepasst.«
»Wieso denn das?« Maria nahm zerstreut ihre Gabel und aß weiter.
»Ihre Mutter war meine Philosophiedozentin. Sie hatte vier Kinder und einen unbrauchbaren Mann; jedes Jahr wählte sie eine oder zwei Studentinnen aus, die regelmäßig für sie bei den Kindern blieben. Ich hatte das Glück im zweiten Studienjahr.«
Maria schien bestürzt. »Das Glück? Babysitter für vier Kinder zu sein?«
Charlie hob eine Schulter. »Die Kinder waren nicht besonders schwierig. Und ich konnte mir damit etwas dazuverdienen. Gar nicht zu reden von dem kostenlosen Zusatztutorium, wenn wir noch spätabends ein Glas tranken. Mit ihrer Zeit und mit Alkohol war Corinna Newsam immer großzügig.« Sie nippte an ihrem Wein. »Und jetzt ist es an der Zeit, mich zu revanchieren.«
»Zu revanchieren?«
»Sie möchte, dass ich etwas für sie tue. Daher dieser Köder, der mit der Morgenpost gekommen ist.«
»Sie hat diese Artikel an dich geschickt? Diese Corinna Newsam?«
»Genau.«
»Aber warum? Warum an dich? Und warum diese Geheimniskrämerei?«
Charlie grinste. »Sie ist Dozentin in Oxford. Es ist geradezu wie eine mittelalterliche Bewährungsprobe. Zuerst muss man beweisen, dass man der Aufgabe würdig ist. Dann darf man herausfinden, worin die Aufgabe besteht. Dann darf man gegen eine Heerschar von Gegnern anreiten und mit dem Heiligen Gral zurückkommen.«
Maria schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich bin nur eine schlichte Zahnärztin, Charlie. Du wirst mir das schon in einfachen kurzen Worten erklären müssen.«
»Du bist ›nur eine schlichte Zahnärztin‹ auf die gleiche Art und Weise, wie Albert Einstein ganz gut im Rechnen war. Corinna hat mir ein Rätsel geschickt. Wenn ich es nicht lösen könnte oder kein Interesse hätte, dann wäre ich offensichtlich nicht die richtige Person, um ihr zu helfen. Indem sie auf diese Weise um Hilfe bittet, kann sie untaugliche Kandidatinnen aussortieren, ohne dabei das Gesicht zu verlieren. Ich habe das Rätsel gelöst und sie angerufen, also habe ich den Eignungstest bestanden.«
»Du hast sie angerufen?«
Charlie zuckte wieder mit einer Schulter. »Nun, ja. Ich meine, wie hätte ich sonst herausfinden können, was da los ist?«
»Und was ist los?«
Charlie rollte die Augen. »Ich wünschte, ich wüsste es. Aber es ist eben Oxford. Das heißt, dass es nicht einfach so ist, dass man anruft und die ganze Geschichte erfährt. Wenn ich das will, muss ich hinfahren und persönlich mit Corinna sprechen.«
Maria schüttelte irritiert den Kopf. »Hat man dich die ganze Zeit während des Studiums so abstrus behandelt? Kein Wunder, dass du so gut mit verdrehten Hirnen umgehen kannst. Ich nehme an, du hast ihr gesagt, dass du kein Interesse daran hast?«
»So einfach ist es nicht, Maria. Corinna ist klug. Sie weiß, was mir passiert ist. Und ködert mich mit dem einen Begriff, von dem sie genau weiß, dass er mich da reinziehen wird. ›Justizirrtum‹, sagte sie.« Charlie unterbrach sich einen Moment, um einen Schluck zu trinken, und sah die Bestürzung auf Marias Gesicht. »Es könnte durchaus meine Chance für eine Rehabilitierung sein. In dieser Situation kann ich dazu nicht nein sagen. Ich muss hinfahren und herausfinden, was Corinnas Problem ist.«
»Charlie, du lässt dich doch sonst nie auf Leute ein, die so direkt auf dich zukommen. ›Gehen Sie damit zur Polizei. Oder zu einem Anwalt. Wenn man dort meint, dass ich die richtige Person für die Sache bin, wird man sich an mich wenden.‹ Das sagst du doch immer. Das ist dein Motto. Ich kann nicht glauben, dass du dich nach Oxford aufmachst wegen eines wahrscheinlich völlig sinnlosen Unternehmens, nur weil du früher auf die Kinder dieser Frau aufgepasst hast.«
»Aber es wendet sich ja niemand mehr an mich, oder?« Charlies Wut brach plötzlich auf wie ein Furunkel, das unter zu großem Druck steht. »Ich bin von meiner klinischen Arbeit suspendiert, ich bin
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