Alle Rache Will Ewigkeit
selbst von der Hochzeitsparty abwesend gewesen? Charlie stieß ein kurzes zischendes Lachen aus. Oh, Corinna würde diese Frage sehr gefallen.
Charlie drehte sich langsam um und blickte den Hang hinauf in Richtung Meadow Building. Dort hatte sie drei Jahre gewohnt, zuerst in einer Kammer, so winzig wie ein Schrank, die zwischen dem Treppenhaus und einer Speisekammer eingekeilt lag, dann in einem großen luftigen Zimmer im obersten Geschoss, das sie sich als Kassenwartin der Studentenschaft hatte sichern können. In diesem Gebäude war sie erwachsen geworden. Sie hatte über sich selbst genauso viel gelernt wie für ihre Studienfächer. Sie hatte sich verliebt, ihr wurde das Herz gebrochen, und dann hatte sie sich von neuem verliebt. Genauso, wie es sein soll. Sie hatte Freunde gewonnen und ihre Zukunft in die Hand genommen.
Nun drohte ihr diese Zukunft, die sie für sich geschaffen hatte, zu entgleiten. Beruflich und privat war sie auf dem absteigenden Ast. Und jetzt war sie hier, wo alles angefangen hatte. Es wäre ihr nie eingefallen, hier ihre Rettung zu suchen. Aber vielleicht hatte Corinna recht. Vielleicht war das ihre Chance, ihr Leben zurückzugewinnen.
12
J ay stand am Fenster und sah Magda wegfahren. Es fiel ihr schwer, Magda allein zu diesem schwierigen Treffen gehen zu lassen. Aber es hätte nichts gebracht, deswegen einen Streit vom Zaun zu brechen. Wenn Corinna und Henry offen zeigten, dass sie Magda wegen ihrer Partnerwahl das Leben schwermachen wollten, dann würde sich ein Streit lohnen. Einen, den Jay genießen würde. Aber in einer Hinsicht spielte es gar keine Rolle: Jay wusste, dass Magda ihr gehörte, egal was ihre Eltern sagen oder tun mochten. Einstweilen stand sie besser da, wenn sie sich zurückhielt und Magda ihren Kampf selbst austragen ließ. Und dadurch hatte sie den Tag frei und konnte schreiben. Seit dem Urteilsspruch hatte sie dafür nicht viel Zeit gehabt. Jay machte sich einen Kaffee und setzte sich an den Computer.
Ich verbrachte nur zwei Wochen dieser ersten Ferien zu Haus. Dort gehörte ich nicht mehr hin. Die ehemaligen Schulkameradinnen hatten ihr eigenes Leben, aus dem ich ausgeschlossen war. Die meisten waren mit einer Schar Freundinnen an eine Universität gegangen. Andere arbeiteten und verdienten Geld, wodurch sie sich ebenfalls von mir abhoben. Das Haus, in dem ich sechs Jahre verbracht hatte, bevor ich nach Oxford gegangen war, war auch kein Zuhause. Das plötzliche Verschwinden meiner Mutter hatte jede Möglichkeit dafür zunichtegemacht. Mary Hopkinson, die Nachbarin, machte sich ein Vergnügen daraus, mir unter die Nase zu reiben, dass niemand ein Wort von meiner Mutter gehört habe seit der kalten Winternacht, in der sie mit einem Koffer mit ihren besten Kleidern, Kosmetikartikeln und einem gerahmten Bild von mir im Alter von sechs Jahren verschwunden war. Wäre ich auf dem Foto älter gewesen, hätte sie ihr wahres Alter preisgeben müssen, dachte ich.
Das Haus meines Stiefvaters war kein Ort, an dem man sich gern aufhielt. Er hatte alles entfernt, was ihn an meine Mutter erinnerte, und jetzt war es so frei von Erinnerungsstücken und Symbolen wie die Kapelle, in der ich in meiner Jugendzeit gezwungenermaßen alle Sonntage verbracht hatte. Die Rückkehr nach Haus erinnerte mich nur daran, wie befreiend es gewesen war, diesen Ort zu verlassen. Ich verbrachte die meiste Zeit außer Haus, selbst wenn das hieß, dass ich mich drei Stunden und ein Dutzend Kapitel lang an einem Kaffee in einem Fastfoodimbiss festhalten musste. Am zweiten Januar floh ich zurück nach Oxford und schlief drei Nächte in der Kammer auf dem Dachboden der Newsams, bevor ich wieder ins College ziehen konnte.
Den Rest meines ersten Jahres war Corinna mein Fels in der Brandung, und auch die Kinder retteten mich gelegentlich. Natürlich hatte ich mich inzwischen mit Kommilitoninnen angefreundet. Ich war sogar zur Vorsitzenden des Junior Common Room gewählt worden. Aber mit Corinna konnte ich offener und aufrichtiger sprechen als mit irgendeiner der Studentinnen. Ich hatte das Gefühl, mich vor ihr nicht beweisen zu müssen. Auch meinen Fortschritten im Studium schadete dieser Umgang nicht. Ich könnte schwören, dass Helena Winter erstaunt war, als sie mir am Ende des ersten Jahres meine Prüfungsergebnisse überreichte. Ich genoss das, wie ich wenige Dinge je genossen habe.
Beim Gedanken an diesen Augenblick trat ein Lächeln auf Jays Gesicht. Seit damals hatte sie viel Ruhm geerntet,
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