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Alle Rache Will Ewigkeit

Alle Rache Will Ewigkeit

Titel: Alle Rache Will Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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für dich zu einer Demütigung wird. Die Studentinnen des Junior Common Room werden keine Lesbe zu ihrer Vorsitzenden wählen«, erwiderte Jess, und Selbstgefälligkeit breitete sich auf ihrem Gesicht aus wie Hundescheiße auf einer Schuhsohle.
    Ich geriet ganz kurz in Panik. Wir waren doch so vorsichtig gewesen. Nur in der sicheren Umgebung unserer eigenen Zimmer hatten wir uns umarmt. Ich glaubte nicht, dass wir jemals etwas in der Öffentlichkeit getan hatten, was man uns vorwerfen konnte; wir waren kein einziges Mal in einer Lesbenkneipe gewesen. Jess musste bluffen, dachte ich schließlich. Sie konnte nichts wissen. Niemand konnte es wissen. »Sicher hast du recht«, sagte ich gelassen. »Aber wieso denkst du, dass mich das stört?«
    »Ich war zehn Jahre im Internat, Jay. Glaub mir. Ich weiß, dass du nicht die gleichen Vorteile hattest wie ich, aber sicher bist du doch nicht so naiv zu meinen, du und Louise, ihr könntet euch, seit das Dach über euch eingestürzt ist, verliebt über den Frühstückstisch anschauen, ohne dass die meisten Kommilitoninnen es bemerken?
    Ich spürte, dass meine Ohren rot wurden. In dem Moment wusste ich nicht, ob ich wütender darüber war, dass unsere Liebe auf eine Schulmädchen-Schwärmerei reduziert wurde, oder weil ich daran erinnert wurde, dass meine Herkunft ihrer gesellschaftlich nicht ebenbürtig war. Aber im Grunde war es egal. Mit dieser einen Antwort hatte Jess es geschafft, all die Duldsamkeit wegzufegen, die die Liebe mir eingegeben hatte. »Du bist ja völlig bescheuert, Jess«, fauchte ich.
    »Ich glaube nicht. Wie gesagt, ich kann nicht die Einzige sein, die es bemerkt hat. Und ich vermute, bis zum Tag der Wahl werden es mehr Leute wissen, außer du ziehst deine Bewerbung zurück.«
    »Versuchst du mich zu erpressen?«
    »Ach Gott, nein«, erwiderte Jess. »Aber auf dem Weg nach draußen habe ich zufällig bemerkt, dass das Wahlplakat in der Küche auf deinem Stockwerk verunstaltet wurde. Wir würden doch nicht wollen, dass so etwas überall im College passiert, oder?«
    Seit ich den Nordosten verlassen hatte, war ich schon mehrmals in Versuchung gewesen, meine Fähigkeiten im Straßenkampf zu beweisen. Und noch nie hatte es mir so in den Fingern gekribbelt wie gerade jetzt. Aber es gelang mir, mich zurückzuhalten, und ich löste die Hände, die sich schon instinktiv zu Fäusten geballt hatten. Statt auf sie loszugehen, schubste ich Jess nur zur Seite, ließ meine Bücher und Notizen liegen – ich würde sie später holen – und ging direkt zum Sackville Gebäude.
    Es war noch schlimmer, als ich mir vorgestellt hatte. Auf dem Plakat, auf dem am Morgen gestanden hatte: »Gebt einer Stewart das Heft in die Hand«, war jetzt » LESBE « über meinen Namen geklebt. Und zu den Versprechen, die ich gemacht hatte und die untereinander aufgelistet waren, waren zwei Punkte hinzugefügt worden: »Abteilung für lesbische Erotika in die College-Bibliothek« und »professionelle Beratung in Workshops für Lesben, die sich outen wollen«.
    Ich riss das Plakat von der Wand und zerfetzte es. Die Reste warf ich in die Spüle, zückte mit zitternder Hand mein Zippo und machte diese Schändlichkeit zu Asche. Keuchend lehnte ich an der Spüle, während meine Augen nicht nur vom Rauch brannten. Das Wissen, dass zwischen heute früh und jetzt nicht viele das gesehen haben konnten, war kein Trost. Ich konnte nicht glauben, was Jess Edwards mir angetan hatte. Ich hatte geglaubt, ich sei die Skrupellose von uns beiden.
    Aber ich wusste mit absoluter Sicherheit, dass bis zum nächsten Morgen eine Schmutzkampagne das ganze College überziehen würde, wenn ich nicht schleunigst klein beigab. Und die Chancen, dass ich den Posten bekam, würden in einer Demütigung untergehen, über die die Leute noch Jahre später sprechen würden. Wann immer mein Name in einem Gespräch ehemaliger Oxford-Studenten fiele, würde zu hören sein: »Ach ja, war das nicht die Lesbe, die sich einbildete, sie könnte Vorsitzende des Common Room werden?«
    Außerdem musste ich auf Louise Rücksicht nehmen. Sie hatte andere Ziele als ich, hatte kein Verlangen nach Macht oder Bekanntheit. Sie hatte schon genug Schwierigkeiten gehabt, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie lesbisch war, ohne auch noch von unseren Kommilitoninnen gedemütigt zu werden. Und wir sollten uns keiner Täuschung hingeben, dachte ich erbittert, wir würden auf jeden Fall gedemütigt werden. Die idealistischen Ideen von Solidarität

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