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Alle Rache Will Ewigkeit

Alle Rache Will Ewigkeit

Titel: Alle Rache Will Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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sie in ihre Tasche. »Es ist seltsam. Meine Aufpasserinnen kommen zurück und nehmen mich unter ihre Fittiche.«
    »Ich glaube, deine Mutter hatte den richtigen Riecher, was gute Babysitter betrifft.«
    Magda seufzte und wandte sich zum Gehen. »Das ist gar nicht witzig! Also, ich hoffe, du triffst Dr. Winter an.«
    Charlie schaute ihr nach, wie sie die Gasse hinunterlief. Es war eine interessante Begegnung gewesen. Entschlossen machte sie sich nun auf den Weg zur Wiese und hoffte, es werde ihr gelingen, auch Dr. Winter zum Reden zu bringen. Allerdings hatte sie einige Zweifel.
    Während sie das schmiedeeiserne Tor öffnete, klingelte ihr Mobiltelefon. Sie vermutete, dass es Maria sei, und beeilte sich nicht sonderlich. Doch als sie auf das Display schaute, begann ihr Herz schneller zu schlagen. Mit zitternden Fingern fummelte sie an den Tasten herum und hätte beinahe aus Versehen den Anruf abgewiesen.
    »Lisa«, stieß sie hervor und versuchte, entspannt zu klingen.
    »Hi, Charlie. Wie läuft dein Tag bis jetzt?«
    Charlie konnte sich ein trockenes Lachen nicht verkneifen. »Interessant. Im chinesischen Sinn«, antwortete sie.
    »Klingt gut. Interessante Tage sind ein gesunder Stimulus. Ich hoffe, du erzählst mir alles darüber.« Lisas Stimme klang vertraulich und verführerisch wie immer. »Tut mir so leid, dass ich dich gestern verpasst habe. Es war mir wirklich nicht recht, dass ich dich versetzen musste.« Sie seufzte und klang, als sei sie aufrichtig zerknirscht. »Du weißt doch, wie das ist. Es ist schwierig abzulehnen, wenn man glaubt, dass man helfen kann. Es käme mir dann schrecklich egoistisch vor, einfach wegen meines eigenen Vergnügens wegzugehen. Aber ich wäre wirklich lieber bei dir gewesen. Das kannst du mir glauben.«
    Es war Charlie im Grunde genommen egal, ob Lisa ihr etwas vormachte. Es klang überzeugend, und solange noch die Möglichkeit bestand, dass alles so laufen konnte, wie sie es sich erträumte, würde sie Lisas Entschuldigung akzeptieren. »Ich verstehe. Manchmal kann man einfach nicht voll über seine Zeit verfügen.«
    »Genau«, antwortete Lisa. »Aber heute konnte ich mir ein bisschen Freizeit sichern. Bist du noch in der Gegend? Ich habe mir eine Stunde freigeschaufelt, und wenn du direkt zu mir nach Hause kommen könntest, dann müsste ich auch keine Zeit damit verschwenden, irgendwo hinzufahren, um dich zu treffen. Wir könnten das Beste aus der wenigen Zeit herausholen. Wie hört sich das an?«
    Phantastisch? Zu schön, um wahr zu sein?
Charlie räusperte sich. »Und welche Stunde wäre das konkret?« Sie nahm das Telefon in die andere Hand, so dass sie auf ihre Uhr schauen konnte. Kurz nach eins. Aber welche Rolle spielte das eigentlich? Es war völlig egal, wie spät es war. Für Lisa stand sie auf Abruf bereit.
    »Kannst du um halb vier hier sein?«
    Immer locker bleiben, Charlie, immer locker bleiben.
»Das müsste gehen. Ich bin gerade auf dem Weg zum St. Scholastika College, um jemanden zu treffen, aber ich sehe zu, dass es nicht allzu lange dauert.«
    »Das ist großartig«, sagte Lisa. »Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen. Und ich freue mich schon darauf, mehr über deine mysteriösen Abenteuer zu hören.«
    Und das war’s. Stille. Keine unnötigen Nettigkeiten, kein Geplauder. Lisa hatte eine Verabredung getroffen und kümmerte sich jetzt schon wieder um etwas anderes. Charlie war das egal. Wie ein pubertierender Teenager reckte sie ihre geballte Faust in einer Geste des Triumphs in die Luft. Dann vollführte sie auf den Spitzen ihrer Stiefel eine kleine Pirouette. Im Laufe weniger Sekunden hatte sich das Blatt gewendet. Jetzt lief es wieder so, wie sie wollte. Dass sie ihre gesamte Zeit bis zum Vordiplom in Ehrfurcht und Angst vor Dr. Helena Winter verbracht hatte, spielte jetzt keine Rolle mehr. Heute würde sie den Spieß herumdrehen.
    Heute würde sie den Drachen töten.

6
    A ls sie Dr. Helena Winters Reich betrat, fühlte sie sich blitzartig in ihre frühe Studienzeit zurückgebeamt. Seit Charlie vor neunzehn Jahren zum ersten Mal auf dem dunkelroten Sofa Platz genommen hatte, um ihr erstes Tutorium zum Thema Aristoteles über sich ergehen zu lassen, hatte sich hier nichts verändert. Die Wände waren vom Boden bis zur Decke mit Bücherregalen bedeckt, und ein kurzer Blick genügte, um festzustellen, dass die meisten Bücher noch dieselben waren wie früher und noch am selben Platz standen. Die einzige Lücke in dem Bücherwald bildete der

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