Alle Rache Will Ewigkeit
große, offene Kamin über dem ein mächtiges viktorianisches Aquarell von Zeno und einer ihm versunken lauschenden Menge hing. Die Möblierung war spartanisch: ein Sofa, ein Sessel, ein schlichter Tisch aus Pinienholz mit dazugehörigem Stuhl. Die Gasheizung zischte und krachte genau wie damals, und auch Helena Winter selbst hatte der Zahn der Zeit nichts anhaben können.
Kaum hatte Charlie geklopft, öffnete sie ihr und wirkte so schlank und aufrecht wie vor Jahren. Dr. Helena Winter, Prescott Fellow der Philosophie, wie immer tadellos gekleidet in einem maßgeschneiderten Rock und einem Twinset aus Kaschmir, eine schlichte Perlenkette um den Hals, das weiße Haar zum perfektem Dutt frisiert. Eine reife, intellektuellere Version von Audrey Hepburn, fand Charlie. Nachdem Dr. Winter mit einem fragenden Blick ihrer dunkelblauen Augen die unerwartete Besucherin gemustert hatte, entspannten sich ihre Gesichtszüge. »Miss Flint«, grüßte sie. »Oder heißt es noch Dr. Flint?«
Wie immer zielte sie damit auf die empfindlichste Schwachstelle. »Immer noch Dr. Flint, aber ich ziehe Charlie vor.«
Helena deutete mit dem Kopf nach drinnen. »Kommen Sie herein, Charlie. Was für eine Überraschung!« Sie hielt ihrem Gast die Tür auf. »Bitte nehmen Sie doch Platz.«
Für einen kurzen Augenblick spielte Charlie mit dem boshaften Gedanken, den Sessel zu wählen, aber entweder fehlte ihr letztendlich doch der Mut dazu, oder ihre guten Manieren gewannen die Oberhand, und sie setzte sich auf das Sofa.
»Man sieht Sie ja nicht gerade oft hier im College«, stellte Helena fest, während sie es sich auf ihrem Sessel bequem machte und nach den starken, filterlosen Zigaretten griff, die sie früher schon während der Tutorien geraucht hatte – und zwar strikt erst ab achtzehn Uhr abends. Sie nahm Charlies fragenden Blick wahr und erklärte: »Es ist mir nicht mehr gestattet, während der Arbeit mit Nicht-Graduierten zu rauchen. Also erlaube ich mir diesen Genuss, wann immer ich eben Zeit dafür finde. Und jetzt erzählen Sie mal. Was verschafft mir diese Ehre? Haben Sie sich letztendlich doch zu einer rein akademischen Karriere entschlossen?«
Sie spielt mit mir. Sie weiß von dem Fall Hopton und will jetzt ihren Spaß haben.
Charlie lächelte. »Ich denke, dafür ist es zu spät.«
»Wie schade. Sie hätten von Anfang an auf Ihre wahre Begabung vertrauen und bei der Philosophie bleiben sollen. Sie hätten sich weiter qualifizieren können, und all das hier hätte Ihnen gehören können.« Sie machte eine große Geste mit beiden Händen, die zeigte, dass es in ihrer Macht gelegen hätte, Charlie nicht nur diesen Raum, sondern auch das College und gar Oxford selbst zu überlassen – all das hätte für Charlie in greifbarer Nähe gelegen.
»Ich war gar nicht so gut in Philosophie.«
»Ganz im Gegenteil, meine Liebe. Sie hatten ein sehr feines Gespür für die komplexeren Elemente der Moralphilosophie. Sie hätten einen bemerkenswerten Beitrag leisten können. Ich habe immer bedauert, dass Sie es vorzogen, in einem so weltlichen, kurzlebigen Bereich zu arbeiten.«
Charlie hatte sich fest vorgenommen, über solche Bemerkungen hinwegzusehen, aber der spitze Ton traf sie doch. »Wenn man Menschen hilft, mit ihren Psychosen klarzukommen, würde ich das nicht als sinnlos ansehen. Und ich hätte niemals eine so große Begeisterung wie Sie für griechische Philosophen wie Zeno und Aristoteles aufbringen können.«
Ihre Aussage war durchaus zutreffend, denn Helena war eine passionierte Lehrerin, die die Fähigkeit zur Kommunikation und die Energie besaß, ihre Begeisterung an ihre Studenten weiterzugeben.
Doch Charlie war nicht wegen akademischer Empfehlungsschreiben nach Oxford gekommen. Ebenso wenig war sie bereit, sich von einer weltfremden Moralphilosophin, die seit zwanzig Jahren abgeschieden in ihrem Elfenbeinturm lebte, ärgern zu lassen. Plötzlich begriff sie: Helena nahm es ihr wohl auch übel, dass sie die Kraft gehabt hatte, ihren eigenen Weg zu gehen und nicht in Oxford hängenzubleiben. »Sie sehen übrigens recht gut aus. Ich hatte gehört, dass Sie krank waren.«
Helenas breiter Mund verzog sich zu einem dünnen Lächeln, und tiefe Falten wurden auf ihrem Antlitz sichtbar. »Man hat mir einen Tumor in der Leistengegend entfernt«, gestand sie unverblümt. »Zweifelsohne haben manche meiner Kollegen an den entsprechenden Ausspruch von Evelyn Waugh über Randolph Churchill denken müssen.«
Charlie hob
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