Alle Rache Will Ewigkeit
fragend die Augenbrauen. Helena hatte sich immer über ihre kleinen Triumphe gefreut, und obwohl Charlie die Anekdote kannte, gab sie sich unwissend.
»›Der Chirurg muss wirklich außergewöhnlich begabt gewesen sein. Er hat den einzigen nicht bösartigen Teil von Randolph gefunden und ihn entfernt‹«, berichtete Helena grimmig lächelnd.
»Ich bin froh, dass es nichts Ernstes war.«
Helena bedachte Charlie für die Bemerkung mit einem gnädigen Kopfnicken. »Und wie sieht es bei Ihnen aus? Wie ich höre, haben Sie mit anders gearteten Schwierigkeiten zu kämpfen.«
Charlie entzog sich ihrem bohrenden Blick und schaute hinaus über den Fluss. »Die letzte Zeit war nicht leicht für mich. Aber ich werde es überleben.«
»Das werden Sie. Sie sind zäh und haben Talent. Aber warum sind Sie gekommen, Charlie? Ich nehme nicht an, dass Sie die Lösung Ihrer Probleme in der Lehre des Antisthenes suchen möchten.«
Charlie lächelte. »Ich überlasse den Zynismus Ihnen. Ich bin hier, weil ich die Bestätigung einer Aussage bräuchte, die mir gegenüber gemacht wurde.«
»Das klingt sehr interessant. Ich kann mir nicht vorstellen, wo da die Schnittmenge sein soll. Was könnte ich wissen, das Sie so brennend interessiert?«
Charlie wusste, dass sie behutsam vorgehen musste. Helena Winter hatte Spekulationen immer schon unbarmherzig zerpflückt. »Vor siebzehn Jahren ist Corinna Newsam mit einem Problem zu Ihnen gekommen. Sie steckte damals in einem moralischen Dilemma. Sie müssten mir bestätigen, was sie Ihnen an jenem Tag erzählt hat.«
Charlie hatte Helena noch nie so völlig befremdet und verblüfft gesehen. Es war regelrecht angenehm, sie mal so zu erleben. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie sprechen.« Sie versuchte, so hochmütig wie möglich zu klingen, aber es wollte ihr nicht recht gelingen.
»Darf ich Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen? Ich weiß ja schließlich, wie es ist, wenn man älter wird. Manche Erinnerungen sind nicht mehr so schnell greifbar.«
Charlie genoss Helenas starre Miene. »Es war ein ganz besonderer Tag hier im St. Scholastika College. Der Tag, an dem Jess Edwards starb.« Helena hielt ihrem Blick stand, während eine kleine Rauchfahne von ihrer Hand aufstieg. »Corinna hat mir erzählt, dass sie Sie an diesem Tag aufgesucht hätte.«
»Nehmen wir mal rein hypothetisch an, dass dieser Besuch bei mir wirklich stattgefunden hat. Warum sollte ich Ihnen davon erzählen? Sie haben keinerlei Stellung hier. Wir haben seit Jahren nichts mehr miteinander zu tun, und ich habe nicht die geringste Ahnung, was Ihre Motive sind.« Sie nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette. »Aber das sind sowieso nur müßige Spekulationen. Ich kann mich an keine solche Begebenheit erinnern.«
Charlie schüttelte den Kopf. »Rufen Sie Corinna an und fragen Sie sie, ob Sie mir vertrauen können.« Sie griff in ihre Tasche und förderte ihr Mobiltelefon zutage. »Hier. Sie können sitzen bleiben. Nehmen Sie einfach mein Telefon.« Helena ignorierte das Angebot und griff nach ihrem eigenen Apparat. Sie drückte ihre Zigarette aus, wählte auswendig eine Nummer und wartete. »Corinna? Helena hier. Ich …«
Offenbar wurde sie sogleich von Corinna unterbrochen. Verärgert verzog sie den Mund. »Ja, das ist sie«, antwortete sie, dann verstummte sie erneut. »Na schön. Bitte komm morgen um Viertel vor neun in mein Büro.« Sie legte auf und musterte Charlie eingehend. »Was auch immer ich zu dem Thema sagen kann, ist nutzlos. Es führt zu nichts. Wenn man keine Beweise hat, sehe ich keinen Sinn darin, eine Geschichte zu verbreiten. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ich recherchiere hier ja auch nicht für die Regenbogenpresse«, entgegnete Charlie und ließ ihre Missbilligung deutlich erkennen. »Denken Sie, Corinna hätte mir das anvertraut, wenn ich solche Absichten hätte?«
»Worum es da auch gehen mag, ich verstehe wirklich nicht, warum Corinna ausgerechnet auf diese alte Sache zurückgreifen muss«, erwiderte Helena in scharfem Ton.
»Das geht ja auch nur sie etwas an. Was hat sie zu Ihnen gesagt?«
Endlich senkte Helena den Blick und betrachtete nachdenklich die Zigarette in ihrer Hand. »Es war am späten Morgen. Die traurige Nachricht von Jess’ Tod hatte bereits die Runde gemacht. Es ist immer so, wenn eine junge Studentin stirbt. Alle sind geschockt und denken voller Erbitterung daran, was dieser Mensch noch alles vor sich gehabt hätte. Entsprechend schlimmer ist es,
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